Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
Vom Netzwerk:
Goetz

Es war im Jahre 1913, als Henry Ford die automobile Massenfertigung nach Detroit brachte. Statt in Handarbeit eines Einzelnen entstanden in der Folge neue Autos wie das legendäre Modell T am Fließband. Die Endmontage eines Wagens dauerte statt 750 nur noch 93 Minuten. Wo vorher 28 Mann 175 Kolbenstangen am Tag produzieren konnten, schafften wenig später 7 Mann rund 2600. Durch diese immense Produktivitätssteigerung und den wirtschaftlichen Aufschwung schien plötzlich ein flächendeckender Wohlstand möglich. Das »Streben nach Glück«, das schon weit über hundert Jahre als Grundrecht in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verankert war, sollte jetzt für jeden Einwohner der Stadt von Erfolg gekrönt sein. Nicht nur einer kleinen Elite – nein, jedem war es plötzlich möglich, ein eigenes Haus mit prall gefülltem Kühlschrank zu besitzen, dazu noch ein komfortables Auto, ein Boot und ein Wochenendhaus draußen vor der Stadt am Erie-See. 23 Chevrolet und Cadillac sind magische Namen aus jener Zeit – Namen, die heute noch erhaben klingen. Die einen Zauber von Wohlstand, Freiheit und Sorglosigkeit ausstrahlen.
    Eine Stadt im Unglück
    Rund siebzig Jahre später sah die Lage anders aus: Globalisierung, eine günstigere Konkurrenz aus Fernost und zahlreiche eigene Fehler hatten das Zentrum der amerikanischen Autoindustrie in die Knie gezwungen. In den Achtzigerjahren galt Detroit mit seiner hohen Kriminalitätsrate sogar als »murder capital«, als gefährlichste unter den amerikanischen Großstädten. Dazu kam eine regelrechte Entvölkerung: Seit den Fünfzigern haben rund zwei Drittel der damals zwei Millionen Einwohner die Stadt verlassen. 24 Wer blieb, war oft zu alt, zu krank oder zu drogenabhängig, um sich eine bessere Zukunft zu suchen.
    Hatte Henry Fords Erfindergeist der Stadt am Ende also gar nicht das Glück beschert, wie es in den Zeiten der breiten Boulevards und sprießenden Wolkenkratzer gewirkt hatte, sondern sie vielmehr ins Verderben gestürzt?
    Regelmäßig werden Rankings der glücklichsten und unglücklichsten Länder der Welt erstellt. Auf einer solchen Liste für Städte müsste Detroit zumindest in der Theorie ganz weit unten stehen: eine Stadt, die nicht nur ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage verloren hat, sondern auch ihren Stolz und ihren Optimismus. Aber stimmt das tatsächlich? Oder haben die Detroiter einen Weg gefunden, sich aus der Depression zu befreien?
    Jessica hat mir von der im wahrsten Sinne des Wortes aufblühenden Kultur des » Urban Gardening «erzählt: Überall in der Stadt entstehen neue Grünflächen; Stadtgärten, mit denen sich die Bewohner von Detroit die verlassene Betonwüste nicht nur schöner gestalten, sondern sich auch zunehmend selbst mit Nahrungsmitteln versorgen.
    Ich erinnere mich an ein chinesisches Sprichwort: »Willst du einen Tag lang glücklich sein, betrinke dich«, heißt es dort. »Willst du ein Jahr lang glücklich sein, heirate. Willst du ein Leben lang glücklich sein … dann lege einen Garten an.« Schauen wir mal nach, was ich davon bisher geschafft habe: Betrunken gewesen? Schon lange vor meinem Glücksexperiment – mehrfach und gewissenhaft. Geheiratet? Abgehakt. Aber ein Garten? Fehlanzeige. Wie auch, wenn man in einer Großstadt im vierten Stock eines Mietshauses wohnt?
    Ich brauche also dringend die Hilfe der urbanen Gärtner von Detroit. Wenn ihnen Gemüsebeete einen Ausweg aus der Misere bieten können, kann ich mir sicher einiges abschauen.
    Als ich in Detroit lande, führt mich der erste Weg, wie in den USA üblich, vor den Tresen eines mäßig gelaunten Beamten der Einwanderungsbehörde.
    »Was ist der Zweck Ihres Besuchs?«, fragt er, während er meinen Pass inspiziert.
    »Urlaub«, antworte ich nicht ganz wahrheitsgemäß – wohl weil mir selbst die Erklärung, mich in Detroits urbanen Gärten auf die Suche nach dem Glück machen zu wollen, plötzlich fast schon bizarr erscheint. Jeder, der in die USA einreist, muss vorher schriftlich versichern, nicht geisteskrank zu sein – und der Mann in Uniform und mit dem riesigen tätowierten Gewehr auf dem Unterarm sieht nicht so aus, als würde er mir glauben, wenn ich ihm mit glücklichen Gärtnern käme.
    »Nur ein kleiner Urlaub«, wiederhole ich also mit einem möglichst leutseligen Lächeln.
    »Urlaub … in Detroit ?«, fragt der Beamte gedehnt. Jetzt sehe ich, dass das Gewehr-Tattoo auf dem kräftigen Unterarm seinem Großvater gewidmet ist, einem Schützen

Weitere Kostenlose Bücher