Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sternhagelgluecklich

Sternhagelgluecklich

Titel: Sternhagelgluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
Vom Netzwerk:
nicht schon genug, haben die Typen in der dritten Nacht auch noch zweimal mitten ins Gewächshaus gekackt«, seufzt Patrick.
    Kein Wunder, dass der Kerl schlechte Laune hat, denke ich mir. Ich merke, wie selbst in mir eine grenzenlose Wut über den Gewächshaus-Vandalismus hochkocht. Doch Patrick verblüfft mich mit einer ganz anderen Reaktion: »Ich glaube, wir können uns alle vorstellen, wie viel Schmerz ein Mensch in sich tragen und wie verzweifelt er sein muss, damit er zu so etwas fähig ist«, sagt er und fügt hinzu: »Wir werden das Gewächshaus in Zukunft immer abschließen müssen – aber wir sollten auch alle gemeinsam hoffen, dass es der Person, die das getan hat, bald besser geht und sie ihren Seelenfrieden wiederfindet.«
    Puh, so kann man es natürlich auch sehen. Ich merke schon: Zu meinem eigenen Seelenfrieden und der Fähigkeit zu vergeben fehlt mir noch einiges. Aber vielleicht kann ich es hier lernen.
    Ich ziehe mir meine Arbeitshandschuhe über. Patrick teilt uns in mehrere Gruppen ein. Während andere Helfer Erde mischen, erklärt er meiner Gruppe, wie viel Licht die Tomaten und Grünkohlsetzlinge im Gewächshaus jeweils benötigen und dass die Paletten mit den Hunderten von kleinen Töpfen deshalb am besten in mehreren Etagen umzuschichten seien. Da bald noch weitere Setzlinge dazukommen sollen, muss alles insgesamt ein wenig platzsparender als bislang arrangiert werden. Außerdem soll jeder Topf gekennzeichnet werden, damit zukünftige Helfergruppen sofort wissen, was in welchem Topf wächst.
    Die folgenden Stunden schleppen wir Paletten, kriechen unter die hüfthohen Tische und schichten Töpfe um. Selbst bei der am wenigsten anstrengenden Aufgabe, dem Kennzeichnen der Pflanzen, tropft einem in der schwülen Treibhausluft kontinuierlich der Schweiß von der Stirn. Trotzdem macht allen in der Gruppe die Arbeit sichtlich Spaß – ganz egal ob der kaugummikauenden Schülerin mit den sorgfältig lackierten Fingernägeln oder dem hünenhaften Schwarzen mittleren Alters, der zu seinem blauen Arbeitsoverall blitzblank geputzte Cowboystiefel mit wundervollen Stickereien trägt.
    Buddeln gegen Nazis
    Gegen Mittag ist das Gewächshaus aufgeräumt und bereit für eine neue Kolonie von Setzlingen. Es fühlt sich gut an, mit seinem Körper nicht nur die Geräte eines Fitnessstudios bewegt, sondern beim Erzeugen von Nahrung geholfen zu haben. Zu sehen, dass der eigene Schweiß nicht vergossen wurde, um abzunehmen, sondern um gemeinsam etwas aufzubauen. Trotzdem: Irgendwie fehlt noch ein gewisser sichtbarer Erfolg. Etwas Neues, das man erschaffen hat, wo vorher nichts war.
    Ich steige in meinen Mietwagen und fahre auf einen Spielplatz in einem anderen Viertel von Detroit, wo eine Freiwilligengruppe von »Greening of Detroit« heute rund hundertachtzig Bäume pflanzen will. Ein paar davon, so habe ich mir fest vorgenommen, sollen dabei auch durch meine Spatenstiche in die Erde gebracht werden.
    Als ich an dem Spielplatz ankomme, an den noch eine große Football-Wiese angrenzt, bin ich erst einmal beeindruckt von der guten Organisation. Über hundertfünfzig Menschen haben sich eingefunden, in eine Freiwilligenliste eingetragen, wurden mit Spaten und Instruktionen ausgestattet und haben inzwischen mit dem Buddeln begonnen. Sogar Wasserflaschen stehen bereit, die Laune ist gut: Von den meisten der vier- bis sechsköpfigen Gruppen hört man Gelächter über die Wiese schallen. Ich entschuldige mich für die Verspätung, aber als ich sage, dass ich vormittags bei Earthworks gearbeitet habe, freuen sich alle. Die verschiedenen Gruppierungen scheinen keine Rivalität oder Konkurrenz zu pflegen, sondern unterstützen einander, so gut es geht. Ich schnappe mir einen Spaten und werde einer kleinen Gruppe zugeteilt, die sich gerade an einem sehr großen Loch für einen jungen Baum abplagt. »Das hier ist Barry, er ist schon seit über zwanzig Jahren als freiwilliger Helfer bei uns«, sagt Mary-Ann, die die Freiwilligen koordiniert.
    Barry ist ein weißhaariger Brite im frühen Rentenalter, der seit Langem in Detroit lebt, und er ist so lange freundlich zu mir, bis er herausfindet, woher ich komme. Was etwa zehn Sekunden dauert, denn seine erste Frage ist: »Hallo! Schön, dass du da bist. Wo kommst du her?« Als ich sage, dass ich Deutscher bin, verfinstert sich seine Miene: »Also bist du ein Nazi?«
    Da ich diese Logik zuletzt vor ungefähr zehn Jahren von einem minderjährigen Tuktuk-Fahrer in Südamerika

Weitere Kostenlose Bücher