Sternhagelgluecklich
genau weiß, wie sich Neid anfühlt und wie man damit zurechtkommt.
Ich kenne Andi Erhard noch aus einer Zeit, als er in einer Band spielte, die damals noch »Stiller« hieß und vor einer Handvoll Leuten in Jugendzentren des Münchner Speckgürtels auftrat. 1996 war das. Ein Jahr später stieg Andi aus der Band aus. »Ich wollte etwas ganz anderes als die anderen. Wollte einen anderen Weg einschlagen – und da musste ich mich entscheiden«, sagt er mit ruhiger Stimme. Ein neuer Bassist kam, die Band benannte sich in »Sportfreunde Stiller« um – und wurde jedes Jahr ein bisschen erfolgreicher. »Ich erinnere mich, dass meine alten Bandkollegen mit ihrer Fußballhymne ›54 – 74 …‹ gerade auf Platz eins der Charts waren, als ich auf dem Arbeitsamt saß, um Hartz IV zu beantragen«, sagt der schlaksige Achtunddreißigjährige.
Wie sehr nagt in solchen Momenten der Neid? Neid auf den Erfolg, den Ruhm, das Geld, die Sorglosigkeit, die all das mit sich bringt? Andis Antwort kommt schnell und bestimmt: »Ich bin kein Stück neidisch. Wirklich nicht.«
Schon klar: Aufgeschrieben wirkt das ungefähr so glaubwürdig und aufrichtig, als würde Josef Ackermann verkünden, Geld sei nicht alles im Leben. Aber je länger ich mich mit Andi unterhalte, umso klarer wird: Es ist die Wahrheit. Ich höre den Stolz, mit dem er vom nachgemachten Abitur berichtet, und die Begeisterung, mit der er von den mittelalterlichen Handschriften seines Germanistikstudiums spricht. Dieser Mann ist frei von Neid. Seine Zufriedenheit ist geradezu ansteckend. Ich fühle mich gleich selbst viel zufriedener, ruhe mehr in mir – bis ich merke: Ich bin selbst auf Andis Neidlosigkeit neidisch. Es ist wie verhext!
Als ich Andi frage, worauf er seine Freiheit vom Neid zurückführt, denkt er eine Weile nach. »Ich habe für meine Doktorarbeit einen Großteil der letzten Jahre in abgedunkelten Handschriftensälen mit Mönchsliteratur verbracht. Darin wird ständig ein einfaches Leben beschworen, eine Gelassenheit gegenüber Besitz gepredigt«, sagt er schließlich. »So etwas zu lesen, ist sehr erbaulich – erst recht, wenn man finanzielle Sorgen hat. Das hat mir sicher geholfen.«
Auch mein nächster Gesprächspartner verweist mich auf die Macht des Glaubens: »Ich war auch mein ganzes Leben lang neidisch, weil ich der Welt der Karriere und des Geldes verfallen war«, sagt Klaus Bolzano am Telefon zu mir. Der Dreiundsiebzigjährige ist Arzt, Philosoph und Autor des Buches »Die Neidgesellschaft«. »Erst als ich vor sechzehn Jahren schwer am Herzen erkrankte, fand ich den Weg zu Gott und konnte meine Neidgefühle ablegen.« Es ist diese Überzeugung, auf der sich nahezu alle Weltreligionen gegründet haben: Der Weg zum Glück führt über Gott.
Da ich Kirchen meide, solange darin keine Konzerte oder Hochzeiten stattfinden, versuche ich mein Glaubensglück zunächst im Internet. Auf einer Webseite, auf der man anonym seine Sünden beichten kann, gibt es für das Thema Neid sogar eine eigene Rubrik. Hervorragend! Ich schreibe mir also meinen Frust von der Seele und befinde mich dabei in guter Gesellschaft: Ein zeugungsunfähiger Mann ist neidisch auf die Familien seiner Freunde, ein Mädchen beneidet eine Freundin, die alles von ihren Eltern bezahlt bekommt. Ein Mann beichtet, als Kind aus Neid die Schildkröte eines Freundes getötet zu haben. Ein anderer gesteht, seinen Freund, der als Zeitungsausträger Geld verdiente, sabotiert zu haben – aus Neid auf dessen Lohn.
Beichte – online und offline
Meine Online-Beichte kommt ohne Missetaten gegen meine Freunde aus. Ich schreibe ehrlich, dass ich ja niemandem etwas wegnehmen will. In den meisten Fällen will ich es selbst einfach nur auch haben. Ich drücke auf Absenden. Doch kurz darauf folgt die digitale Ernüchterung: »Deine Beichte können wir leider so nicht annehmen«, meldet die Internetseite trocken. »Du musst die Regeln akzeptieren – Deine Beichte ist zu kurz, schreibe doch etwas ausführlicher!«
In Zeiten von hundertvierzig Twitter-Zeichen scheint es mir absurd, dass meine Beichte von einem Dutzend Sätzen zu kurz sein soll – von dem schlimmen Satz »Du musst die Regeln akzeptieren« mal ganz abgesehen. Richtig erleichtert hat mich mein Eintrag auch nicht.
Ich merke, dass hier keine vernünftige Lösung meines Neidproblems zu erwarten ist. Ein echter Beichtstuhl muss her!
In der Hamburger St.-Marien-Kirche steht ein sehr modernes Exemplar mit Besetzt-Lämpchen und
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