Sternhagelgluecklich
der US Army, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, wie geschwungene Lettern verraten. Hoffentlich in Pearl Harbour, denke ich mit Blick auf meinen Pass, während mir der Schweiß ausbricht, und nicht in Deutschland.
»Ich fahre sicher auch noch ein wenig herum«, beeile ich mich hinzuzufügen. »Ich habe vor zehn Jahren hier in der Nähe studiert und wollte mich mal wieder in der Gegend umsehen.«
Ein weiterer prüfender Blick, der mehrere Eiszeiten dauert. Dann klappt er den Pass zu und reicht ihn mir herüber. »Na, wenn Sie meinen«, sagt er, und plötzlich erscheint ein Anflug von Lächeln auf seinem Gesicht. »Aber passen Sie auf sich auf.«
Essen von der Tankstelle
Als ich am nächsten Tag zum ersten Mal bei Tageslicht durch die Stadt fahre, wird mir das Ausmaß des Verfalls erst richtig bewusst: In manchen Straßen ist jedes zweite Haus verlassen, die Scheiben sind eingeworfen. Manche Gebäude sind sogar zur Hälfte abgebrannt, ohne dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, die verkohlten Balken wegzuräumen. Riesige Fabrik- und Bürogebäude stehen leer: verrottende Gerippe, die Eingangstüren und Fenster im Erdgeschoss zugenagelt, von den Besitzern aufgegeben. Auf einem bereits halb zugewucherten Grundstück sehe ich zwischen Müllhaufen aus Sperrholz und Matratzen auch eine kleine Jacht verrosten – einst Symbol für den Wohlstand, später geplündert und ausgeschlachtet von ein paar Crackrauchern, jetzt allenfalls noch ein Zuhause für Waschbären oder eine Opossumfamilie.
Nur wenige Blocks von dieser Szenerie entfernt liegt die Earthworks Farm und die dazugehörige Suppenküche. Es ist noch kalt an diesem Aprilmorgen, die Luft feucht und schwer. Die wenigen Männer, die vor dem Eingang stehen, wärmen sich ihre klammen Hände an dampfenden Kaffeebechern. Rund hundert Menschen sitzen drinnen an großen runden Tischen, essen, unterhalten sich, lesen. Einige dösen mit geschlossenen Augen. Ich bin beinahe der einzige Weiße. Ein Polizist, der von seinem Platz in der Ecke den ganzen Raum überblickt, grüßt mich freundlich und bringt mich zu Shane, dem Earthworks-Mitarbeiter, mit dem ich verabredet bin und der mich nach einer kurzen Begrüßung gut gelaunt herumführt.
»Zweitausend Mahlzeiten werden hier pro Tag ausgegeben«, sagt der gebürtige Filipino, während er mit mir an dem Tresen vorbeigeht, hinter dem eine Handvoll Freiwilliger gerade Frühstücksrationen auf Tabletts schaufelt und heißen Tee und Kaffee ausschenkt.
Ein Großteil der dafür nötigen Nahrungsmittel kommt von den Feldern und aus den Gewächshäusern, die das Earthworks-Kollektiv hier auf insgesamt rund achttausend Quadratmetern bewirtschaftet. Wir überqueren den Hof und betreten eines der Gewächshäuser, in denen gerade eine weitere Gruppe Freiwilliger von einem rotbärtigen Mann namens Patrick instruiert wird, wie man welche Pflanzen am besten bewässert.
»Den Ursprung für die Organisation hat der Franziskanermönch Rick Samyn im Jahr 1997 gelegt«, sagt Shane und erzählt, wie es dazu kam: »Der Auslöser war ein Gespräch mit einem Jugendlichen hier aus dem Viertel. Samyn schrieb gerade die Zutatenliste für ein Kochrezept auf, als ihn der Junge fragte, bei welcher Tankstelle er denn sein Essen kaufe. Dass es auch andere Nahrungsmittel als Mikrowellenpizza, Chipstüten und Schokoriegel geben könnte, war für den Jungen unvorstellbar. Ebenso die Tatsache, dass man sein Essen woanders als an der Tankstelle kaufen könnte.«
In den letzten Jahren haben sich tatsächlich sämtliche Supermarktketten aus Detroit zurückgezogen: 2007 wurden die letzten beiden Filialen von Farmer Jack geschlossen. Es gibt zwar vereinzelte Tante-Emma-Läden mit Lebensmitteln und mit dem Eastern Market einen Wochenmarkt im Stadtzentrum – aber für viele Bewohner von Detroit sind die abgepackten Kalorienbomben aus den Regalen der Tankstellenshops das tägliche Brot. Oder gleich die Pappeimer mit frittierten Hühnerschenkeln von Kentucky Fried Chicken oder das Hackfleisch von McDonald’s und Burger King. Fast Food gibt es überall, und meist ist es deutlich billiger, als selbst zu kochen. »Als es mit der Stadt bergab ging, warfen die Leute auch ihre Esstische weg«, bringt es Willie Spivey, einer der Arbeiter auf der Earthworks Farm, auf den Punkt.
Spivey ist sechsundfünfzig, hat ein rundes, freundliches Gesicht und eine Wollmütze auf dem Kopf. Er hatte lange als Hilfsarbeiter gejobbt, doch irgendwann erwischte auch ihn die
Weitere Kostenlose Bücher