Sternhagelgluecklich
»Pimpernel« auf dem Gehweg stand, einen Gin Tonic in der Hand und vor mir einen Kollegen, der sich plötzlich in drei identisch aussehende Kollegen teilte und dessen Sätzen ich nicht mehr folgen konnte. Das Glück, das ich vorher noch verspürt hatte, war plötzlich dem Wissen gewichen, dass ich in spätestens zwanzig Minuten ohnmächtig würde. Meine Muttersprache hatte ich bereits zwei Gin Tonic zuvor am Tresen abgegeben. Ich drehte mich irgendwann einfach wortlos um und wankte in Richtung Hotel. Wo mich wenige Stunden später die verdienten Kopfschmerzen unsanft wecken sollten.
Macht ein Rausch also glücklich? Auf der Bierbank oder kurz nach dem Autoscooterbesuch hätte ich gestern noch meine Hand dafür in den Hähnchengrill gelegt. Heute würde ich mit aller in meinem geschundenen Körper verbliebenen Kraft das Gegenteil behaupten.
Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Arten von Räuschen. Seit mein Freund Fabian und ich nicht mehr in derselben Stadt wohnen, pflegen wir zum Beispiel eine Mischung aus Herrenclub und Jahresabschlussgespräch. Zwischen Weihnachten und Neujahr treffen wir uns in einer Hotelbar mit Pianist und ziehen Bilanz. Die Regeln hat Fabian aufgestellt, und sie sind brillant: »Für jede Buchveröffentlichung, jedes gesunde Neugeborene, jedes gebaute Haus und jeden rechtmäßigen Titelerwerb im vergangenen Jahr muss der Betreffende eine Flasche Champagner ausgeben«, schrieb er vergnügt vor einiger Zeit in die Statuten. Ich war sofort einverstanden. Außerdem gilt die Regel: »Für verstorbene Familienmitglieder, zerbrochene Beziehungen, dahingeschiedene Haustiere oder Steuerkatastrophen ist jeweils ein Stamperl Schnaps fällig.«
Zum Glück floss in den vergangenen Jahren immer mehr Champagner als Schnaps. Vielleicht lag es daran, dass der daraus entstandene Rausch stets ein angenehmer und weitestgehend katerloser war. Wahrscheinlich liegt es aber auch an einem anderen Faktor: Jeder Rausch ist so angenehm wie die Umgebung und Gesellschaft, in der er stattfindet. Wer sich schon mal mutterseelenalleine mithilfe der Minibar eines Ibis-Hotels in einer deutschen Mittelstadt betrunken hat, kann das sicherlich bestätigen. (Ein Opfer, das ich selbstverständlich nur zu Recherchezwecken für dieses Buch gebracht habe und niemandem zur Nachahmung empfehlen kann. Denn es gibt definitiv nichts Tristeres, als am nächsten Morgen aufzuwachen und das Ültjes-Logo spiegelverkehrt auf der Wange zu haben, weil man auf der Packung mit Erdnüsschen eingeschlafen ist.)
Ein Rausch mit guten Freunden, die man lange nicht gesehen hat, hat hingegen etwas Wundervolles. Die ersten Gläser lockern die Zunge sowie den Geist und helfen, die Tretmühle des Alltags zurückzulassen, die einen geistig noch fest umklammert hält. Die nächsten Gläser fördern eine gewisse emotionale Offenheit, die manchmal in Pathos umschlägt. Das kann vor allem Männern guttun, die denken, die Frage nach ihrem Befinden wäre mit einem »Muss ja!« erschöpfend beantwortet.
Irgendwann schließlich kommt der Punkt, an dem man weitertrinken muss. Weil sonst eine bleierne Müdigkeit von einem Besitz ergreifen würde und der schöne Abend viel zu früh vorbei wäre. Das ist jedoch auch meist der Zeitpunkt, an dem man zwischendurch mal eine Flasche Mineralwasser in einem Zug leeren sollte, um den nächsten Morgen etwas angenehmer zu gestalten als beispielsweise den nach meinem letzten Oktoberfestbesuch.
Wenn man dann auch noch schafft, den richtigen Zeitpunkt für den finalen Absacker zu erwischen, das Auto stehen lässt und auch ansonsten keine größeren Dummheiten macht (kleine Albernheiten wie Klingelstreiche beim alten Mathelehrer sind erlaubt), kann so ein Vollrausch mit Freunden durchaus großes Glück spenden. Wenn auch meist tatsächlich nur »für eine Nacht«, wie ein chinesisches Sprichwort verheißt.
Ich freue mich jedenfalls schon auf mein Treffen mit Fabian im Dezember. Auch wenn ich wegen der leidigen Steuerprüfung diesmal auch Schnaps ins Rennen schicken muss.
Der Rosenkavalier
Mein Jahr mit den Glücksexperimenten geht seinem Ende entgegen. Ich besuche weiterhin jede Woche meine beiden Supersenioren. Sie sind mir ans Herz gewachsen, auf unterschiedliche Weise: Frau Knapp mit ihrem gutmütigen Geschimpfe und Herr Regner mit seiner nachdenklichen, stets höflichen Art.
Als ich Letzteren an einem kühlen Dienstagnachmittag besuche, bittet er mich, ein paar Krücken, die ihm die Orthopädin gegeben hat, auf seine
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