Sternhagelgluecklich
hätten sie bei meinem Anblick gute Laune. Der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung hat gerade erst zwei Wörter seiner Bitte herausgebracht, da bin ich auch schon vorbeigehüpft. Statt normaler Gehgeschwindigkeit erreicht man mit der Hopserei ein deutlich schnelleres Joggingtempo.
Vier Teenager, die versuchen, sich gemeinsam in einen Fotoautomaten zu quetschen, zeigen mit dem Finger auf mich und prusten los, als ich an ihnen vorbei bin. Sie lachen nicht mit mir, da bin ich mir ausnahmsweise sicher – sie lachen über mich. Aber komischerweise ist es mir selbst hier irgendwann egal. Das Grinsen, das durch das vermeintlich alberne Hüpfen auf meinem Gesicht erscheint, ist stärker als meine angeborene und im Lauf meines Lebens nach und nach gewachsene Angst, mich zu blamieren.
Außer Atem und nassgeschwitzt komme ich im Supermarkt an, stecke die Pflandflaschen in den Automaten und mache mich, immer noch mit einem Grinsen im Gesicht, ans Einkaufen.
Den Rückweg muss ich leider im normalen Fußmarsch zurücklegen – für das Hopsen ist die Einkaufstasche jetzt zu schwer. Trotzdem merke ich mir den Hopserlauf als Trick für Notfälle – denn schlechte Laune bekämpft er wirkungsvoll, ganz egal ob am Neckarufer oder zwischen Haustür und Supermarktkasse.
Luftballons im Kopf
Mitte des Monats geht auch meine Zeit mit den Psychopharmaka zu Ende. Die Effekte, die ich in den vergangenen sechs Wochen gespürt habe, waren nicht schlimm oder übermäßig unangenehm, aber doch deutlich. Das Prickeln, das permanente Gähnen, ohne im Geringsten müde zu sein – aber auch eine größere Offenheit, vielleicht sogar Furchtlosigkeit, weniger Grübeln und Analysieren banaler Kleinigkeiten. Gerade diese letzten, die psychischen Auswirkungen könnten natürlich auch einem reinen Placeboeffekt zugeschrieben werden. Die körperlichen Effekte dagegen waren so real, dass ich nicht glauben mag, dass all das, was sich in meinem Kopf zeitweise änderte, komplett Einbildung war. Aber das will man bei Placebo-effekten als Betroffener wohl nie glauben.
Nun ist jedenfalls die Zeit gekommen, das Medikament wieder abzusetzen. Im Grunde passiert nun das Gleiche wie vor sechs Wochen – nur rückwärts: Durch das Wegfallen der Wiederaufnahmehemmer fangen meine Neuronen an, wieder mehr Serotonin und Noradrenalin zu absorbieren. Das kann relativ schnell vor sich gehen, während die Serotoninproduktion des Körpers etwas länger braucht, um sich wieder umzustellen. Dadurch kommt es nach dem Absetzen von SSNRI s bzw. SSRI s unter Umständen für eine gewisse Zeit zu einer Unterversorgung mit Serotonin. Ich rechne also damit, in der nächsten Zeit niedergeschlagen zu sein, stelle mir eine Art »Traurigkeitskater« vor – mit emotionaler Trübsal statt Kopfschmerzen.
Doch nichts dergleichen passiert. Das Einzige, was sich plötzlich wieder verstärkt, ist das Kribbeln, das mich in den ersten Tagen auf Venlafaxin so verwirrt hat. Dieses seltsame Körpergefühl war nach einer Anfangsphase zurückgegangen, wenn auch nie ganz verschwunden. Jetzt kommt es plötzlich verstärkt zurück. Das ist jedoch, wie schon am Anfang meiner Selbstmedikation, nicht wirklich schlimm.
Deutlich unangenehmer ist ein Gefühl, dass ich zum ersten Mal verspüre, als ich am Abend meines ersten Entzugstages im Bett liege. Ich bin gerade dabei einzuschlafen, da lässt mich plötzlich etwas hochschrecken, das direkt aus meinem Gehirn zu kommen scheint. Es klingt bizarr und ist schwierig zu beschreiben; es fühlt sich an, als würde ein Luftballon mit lautem Knall platzen – nur dass ich das Geräusch nicht mit meinen Ohren höre, sondern nur in meinem Kopf wahrnehme. Ähnlich wie ein lautes Geräusch noch in einem nachhallt, klingt auch der imaginäre Luftballon nach.
Gerade dämmere ich wieder weg, da passiert es erneut. An Schlaf ist so nicht zu denken. Angst macht sich in mir breit, dass dieses Knallen nie wieder weggehen könnte. Dass ich doch besser die Finger von den Kapseln gelassen hätte. Ich merke, wie ich Angst bekomme, zu sehr in meinem Gehirn herumgepfuscht und irgendetwas irreparabel beschädigt zu haben.
Die Meditation, an der ich mich nach wie vor jeden Morgen versuche, kommt mir jetzt sehr gelegen. Ich bemühe mich, einfach an nichts zu denken. Es knallt noch ein paar Mal, aber ich versuche es, so gut es eben geht, zu ignorieren. Genau wie die Frage, wie lange es dauern wird, bis es mich verrückt macht. Ich kann nicht einschätzen, wie lange ich so daliege
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