Sternstunde der Liebe (German Edition)
verstohlen. Hieß das, er beobachtete ausschließlich Elizabeth, oder auch sie? Warum kam ihr das mit einem Mal so wichtig vor? Sie waren Freunde, nicht mehr. Aber ihr Mund fühlte sich trocken an und ihre Hand sehnte sich schmerzlich danach, Zebs wieder zu ergreifen.
»Fünf.« Zeb deutete auf die Sternschnuppe. »Sechs.«
»Elizabeth«, rief Rumer. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ihre ältere Schwester keine Ahnung hatte, was sie preisgab – buchstäblich alles. Die Träger ihres Nachthemds waren ihr von den Schultern geglitten und ihre Brüste hingen halb heraus.
»Was hast du vor?« Zeb sah zu, wie Rumer begann, sich eilig über den Dachfirst davonzumachen, wie eine Steinkrabbe in den Wasserlachen, die bei Eintritt der Ebbe am Strand zurückblieben.
»Sie warnen.«
»Wieso – lass sie doch.«
»Warum? Damit du sie beobachten kannst?«, neckte Rumer ihn, aber ihr Herz begann zu hämmern, als er nicht gleich protestierte. Die Sterne drehten sich um sie im Kreise und ein leichter Wind wehte durch die Kiefernzweige. Sie hielt den Atem an und wartete. Selbst in der Dunkelheit sah sie, dass Zeb errötete. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, und sie merkte, dass sie wieder an die Halloween-Party letzten Herbst in der Schule dachte, als ihre Schwester und sie haargenau die gleichen Hexenkostüme getragen hatten und Elizabeth – die auf der Schulbühne einherschritt als befände sie sich in einem Broadway-Theater – zur »Schönsten« gekürt worden war.
»Du bist mein bester Freund«, sagte Zeb leise und plötzlich wusste Rumer, dass er sie weinen hörte.
Sie nickte, kniff die Augen fest zu.
»Mehr noch als Paul und Andy.« Er nannte zwei weitere gemeinsame Freunde aus Hubbard’s Point. Sie antwortete nicht. »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Okay. Dann lass uns zum Himmel zurückkehren. Wie steht es eigentlich – sieben zu null für mich? Wenn es dort oben statt in dem alten verwilderten Dornengestrüpp, das wir als Garten bezeichnen, Kaninchen zu sehen gäbe, würdest du ausflippen.«
Aber Rumer konnte Elizabeth nicht einfach weitermachen lassen, wenn sie wusste, dass sich ihre Schwester auf dem Präsentierteller befand. Sie kroch auf allen vieren über das Dach, ließ Zeb allein zurück. Er war fest entschlossen, eines Tages Astronaut zu werden, und versessen darauf, seine Kenntnisse von den Gestirnen durch möglichst viele praktische Übungen zu erweitern. Rumers Gefühle befanden sich in Aufruhr, eine Mischung aus Beschützerinstinkt, Eifersucht, Kränkung und Liebe; der Tumult in ihrem Inneren bewirkte, dass sie unachtsam war und abrutschte, statt sich richtig festzuhalten.
»Ahhhh!« schrie sie, während sie mit ihren bloßen Füßen und Fingernägeln versuchte, Halt auf den Schindeln zu finden.
»Gib mir die Hand!« Zeb streckte den Arm zu ihr hinab.
»Ich kann nicht.« Sie glitt langsam nach unten.
»Mach schon! Gib mir –« gelang es ihm gerade noch zu sagen, bevor er selbst ins Rutschen geriet. Immer schneller glitten sie das Dach der Mayhews herab, Seite an Seite, über Moos und Flechten, unter den Bäumen und Sternen. Doch während Rumer die Regenrinne zu fassen bekam, die ihren Sturz bremste, flog Zeb in hohem Bogen vom Dach und landete im Azaleengebüsch unter ihnen.
»Zeb!«
Er antwortete nicht. Rumer musste ihre ganze Kraft aufbieten, um sich an der Regenrinne festzuhalten und sich einen Zentimeter um den anderen weiterzuhangeln, um sich in Sicherheit zu bringen. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie war schuld an seinem Tod.
»Autsch.« Er rappelte sich hoch. »Mein Bein …«
»Du lebst!«, rief sie atemlos.
»Bist du immer noch oben? Halte durch, Rue.«
Unmittelbar neben dem Haus stand eine hohe Kiefer. Der Graben zwischen dem Geäst und dem Dach tat sich dunkel vor ihr auf, aber sie musste zu Zeb hinunter. Rasch holte sie Luft und schwang sich hinüber, schürfte sich Gesicht und Hände an Hunderten von spitzen Kiefernnadeln auf. Sich mühsam den Weg zum Stamm bahnend, kletterte sie von einem Ast zum nächsten hinab, während das Kiefernharz auf ihrer Haut klebte, und ließ sich aus zwei Metern Höhe auf den Boden fallen.
Aus dem Inneren ihrer beider Elternhäuser drang ein blauer Lichtschimmer von den Fernsehbildschirmen durch die Fliegengitter vor den Fenstern. Sie hörte am Gelächter, dass die Mary Tyler Moore Show lief. Ihre Eltern waren heute Abend gemeinsam essen gegangen und noch nicht nach Hause
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