Sternstunden des Universums
doppelte negative Ladung tragen, oder die elektromagnetische Wechselwirkung könnte stärker als die starke Kernkraft sein. Die Zahl der möglichen Variationen ist Legion. Nur: Leben, wie wir es kennen, kann sich in keinem dieser Paralleluniversen entwickeln. Die irdischen Lebensformen konnten nur entstehen, weil die Parameter in unserem Universum die Werte haben, die sie haben. Warum beispielsweise das Proton eine Masse von 1,6726 x 10 -27 Kilogramm besitzt und warum das Elektron eine Ladung von minus 1,6022 x 10 -19 Coulomb trägt, nicht mehr und nicht weniger, das weiß niemand, aber für uns ist das existenziell (Abb. 66).
Diese Feinabstimmung ist nahezu unheimlich. Warum finden wir all das ausgerechnet in unserem Universum so glücklich vereint? Einige Religionen bieten als »Lösung« einen Schöpfer an, einen ersten Verursacher, der bei der Entstehung unseres Universums entsprechend an den Stellschrauben gedreht hat. In einem Ebene-II-Multiversum regelt sich das von alleine. Wie viele Möglichkeiten es auch geben mag, die Parameter-Uhren eines Universums zu stellen: Unter den unendlich vielen Paralleluniversen des Ebene-II-Multiversums müssen zwangsläufig auch solche, vermutlich sogar wiederum unendlich viele, sein, die, wie unser Universum, im Urknall die für das Leben »richtigen« Parameterwerte mitbekommen haben. Das ist pure statistische Notwendigkeit und hat nichts mit Zufall zu tun. In einem Ebene-II-Multiversum stellt die ewig anhaltende Inflation die Weichen für die Entstehung von Leben. »Hilfe von außen« ist nicht nötig.
Abb. 66: Die Entwicklung eines Universums ist abhängig von der »Grundausstattung« – Energiegehalt, Elementarkräfte etc. –, die ihm bei seiner Entstehung zuteil wurde. Massedominierte Universen kollabieren nach kurzer Zeit wieder, solche mit einem hohen Anteil an Dunkler Energie expandieren beschleunigt auf ewig. Dem Artenreichtum sind kaum Grenzen gesetzt.
Ist also die Inflation der »Ersatzgott« der Naturwissenschaften? Der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen, und manche mögen ihn sich zu eigen machen. Die Naturwissenschaften jedoch haben sich diesbezüglich jeglicher Parteinahme zu enthalten. Für ein Urteil fehlt ihnen die Kompetenz! Die Methoden der Naturwissenschaften lassen nur das für uns Erkennbare und rational Fassbare sichtbar werden, nicht aber den Geist dahinter. Für Fragen der Metaphysik sind allein die Geisteswissenschaften zuständig. Doch an der Aufgabe, die Existenz Gottes zu beweisen oder zu widerlegen, muss auch diese Disziplin scheitern.
Sind nun das Ebene-I- und das Ebene-II-Multiversum Wirklichkeit oder nur Fiktion? Gegenwärtig ist das nicht zu entscheiden. Die Gegner der Multiversum-Hypothese führen vor allem das Fehlen von Beweisen ins Feld. Doch wie bereits erwähnt, ist das Fehlen eines Beweises für deren Existenz noch lange kein Beweis für die Nichtexistenz. Ein weiteres Argument zielt auf die Einfachheit der Natur. Nach Meinung der Gegner würde die Natur mit der Existenz von Multiversen viel zu komplex. Es ist nicht einzusehen, warum die Natur so verschwenderisch sein und neben unserem Universum noch unendlich viele andere entstehen lassen sollte, von denen wir vielleicht nie Kenntnis erlangen werden. Dem kann man entgegenhalten, dass die Natur neben den Elementarteilchen, die sie zum Aufbau der uns vertrauten Materie verwendet, zwei weitere Familien von Elementarteilchen vorrätig hat, von denen sie keinen Gebrauch macht (Abb. 60 des Kapitels 13 zeigt, um welche Teilchen es sich dabei handelt). Nicht zuletzt ist den Kritikern das Wesen von Parallelwelten suspekt. Nach deren Meinung sind sie zu »extravagant«, zu »ungewöhnlich«. Doch das ist mehr ein ästhetischer Aspekt als ein wissenschaftliches Argument.
Fragen wir noch, ob wir von eventuell existierenden Parallelwelten etwas in Erfahrung bringen können. Zwischen den Hubble-Volumina eines Ebene-I-Multiversums ist ein Informationsaustausch – im Prinzip – nicht unmöglich, auch wenn aufgrund der riesigen Entfernungen vom Absenden einer Frage bis zum Empfang der Antwort eine astronomisch lange Zeit vergehen würde. Ein wie auch immer gearteter Kontakt zu einer Parallelwelt in einem Ebene-II-Multiversum ist jedoch prinzipiell unmöglich. Der exponentiell wachsende Raum des falschen Vakuumzustands treibt das Ensemble auseinander. Ebene-II-Universen schwimmen gleich einsamen Inseln isoliert in einem Meer aus falschem Vakuum.
Wird man irgendwann eine Entscheidung
Weitere Kostenlose Bücher