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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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überhaupt?«
    »Siebbeunsiebzig«, sagte der Alte feierlich. »Und da hinne hockt die Lilo mit ihrer Freundin, die wo schon neunundsiebzig is’. Die Lilo. Freundin is’ erst Stückche über Siebzig. Und? Dürfe mir jetzt nimmer vor die Tür? San mir Ungeziefer, wolle Sie uns vergase?«
    »Herr Kammer«, sagte Kissel. »Das reicht.« Er stand auf und lehnte sich über den Tresen, so daß seine Stirn Dorians Nase fast berührte. »Führen Sie sich in Ihrer Freizeit immer so auf?«
    Dorian lächelte ihn an. »Herr Hauptkommissar, ich verbringe nicht mein ganzes Leben bei der Polizei, ich bin doch nicht blöd.«
    Kissel setzte sich wieder.
    »Ich möchte diesen Stall hier übernehmen.« Wie ein Schwimmer breitete Dorian die Arme aus. »Das wird hier alles anders werden, ich könnte ein Toplokal daraus machen, wenn mir genug Zeit bleibt. Aber vorher fotografiere ich euch alle und häng das Bild dann raus an die Tür, schreib drunter: Wir müssen draußen bleiben.«
    »Dorian.« Ina malte ein Kreuz auf den Tresen, das in einer kleinen Bierpfütze gleich wieder verschwand. »Hör doch auf.«
    »Frau Oberkommissarin.« Dorian zwinkerte ihr zu. »Von Kollegen hab ich schon gehört, daß du ein bißchen begriffsstutzig bist.«
    »Ah ja«, murmelte sie.
    »Du hast doch schon mal einen Fall versiebt, da hast du es noch nicht einmal geschafft, dich gegen eine verkrüppelte Irre zu wehren.«
    »HALT JETZT DIE SCHNAUZE.« Kissel sprang auf und fuchtelte mit der Hand, als hätte er einen ungezogenen Hund vor sich, sitz, sitz. »Komm her, los, setz dich hierher. «
    Dorian zog die Schultern hoch. Steifbeinig kam er um den Tresen herum und preßte eine Hand auf den Magen. »Duzen Sie mich nicht.«
    »Ich mach noch ganz andere Sachen.« Kissel packte ihn an der Schulter, doch Dorian wich zurück und riß die Augen auf, als hätte Kissel ein Schlachtermesser in der Hand.
    »Nicht«, murmelte er. »Nicht anfassen.«
    Ina trat nach Kissels Bein und schüttelte leicht den Kopf. Nicht jetzt, nicht hier, das hatte keinen Zweck. Gab es tatsächlich Kollegen, die auf diese Weise über sie lästerten? Nein, lieber nicht darüber nachdenken, am besten gleich vergessen.
    »Gut«, sagte Kissel. »Da Sie ja freiwillig nicht reden möchten oder können, werden wir Ihnen in den nächsten Tagen eine Vorladung schicken. Haben Sie das verstanden?«
    »Warum?« Dorian legte den Kopf schief. »Ich habe schon alles gesagt.«
    »Es gibt neue Fragen.«
    »Ich habe keine Antworten mehr. Ich muß mich mit der Kneipe hier beschäftigen, muß Farbe aussuchen für die Wände. Hell muß es werden, ist doch alles verräuchert.« Er sah Ina an. »Guck auf die Wände, wie sieht das denn aus.«
    Kissel lächelte böse. »Sie möchten sich also neu orientieren. Oder sagen wir es mal so: Wer nichts wird, wird Wirt, kennen Sie die Weisheit?«
    Dorian nickte. »Wer nichts weiß und wer nichts kann, der geht zu Post und Bahn.«
    Kissel verschränkte die Arme. »Und ist ihm auch dieses nicht gelungen, so macht er in Versicherungen. Ja, ja. Billigt Frau Hufnagel Ihre Pläne? Oder wollen Sie die einfach vor die Tür setzen?«
    »Die paßt nicht.« Dorian streckte sich. »Wenn so eine da steht, kommen keine gescheiten Gäste. Ich dachte ja erst, ich könnte sie in der Küche gebrauchen, aber gucken Sie sich den Fraß an, den die macht.«
    »Gute Frikadellen zum Beispiel.«
    »Schöne, junge Frauen«, murmelte Dorian, »locken gute Gäste an.«
    »Jo«, sagte Kissel. Seine Augen glänzten. »Besorgen Sie sich auf dem Flohmarkt mal das T-Shirt mit der Aufschrift Alles Fotzen außer Mutti. «
    Dorian nickte, während Ina erneut nach Kissel trat. Das war daneben, Blödmann, merkst du’s nicht? Aber Kissel wollte nichts merken. Er lächelte wie im Rausch und trat spielerisch zurück.
    Es war stiller geworden, jetzt, da es diese kleine Vorstellung gab. Die Leute verrenkten die Köpfe und guckten herüber, wie sie es bei Unfällen machten, bei Bränden und immer dann, wenn es Tote gab. Die Wirtin stand am anderen Ende des Tresens und starrte auf Dorians Rücken.
    Hatte sie Angst vor ihm? Hatte Dorian sie zu einer falschen Aussage gezwungen? Ina rutschte vom Hocker, doch die richtige Frage fiel ihr nicht ein, weil Billa Hufnagel zu jenen Menschen gehörte, die sie nicht anzusprechen wußte. Kein Blick, der sie weiterbrachte, kein Lächeln, noch nicht einmal Angst, kein Gefühl, auf das sie reagieren, das sie entkräften oder bestärken konnte. An Leuten wie der Hufnagel biß sie

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