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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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cop hielt, vom frühen Morgen bis in die Nacht, doch drehte er sich mit dem Wind, um sich wie ein Chamäleon zu färben, und wenn der Bulle fertig war, hatte sie den Menschen noch immer nicht gesehen. Sie kannte ihn kaum. Sie hatte keine Ahnung, wer er war.
    Ganz sanft war er am Ende mit Belloff umgegangen. »Sie haben die Frau Kammer nie beschuldigt, Sie überfahren zu haben, weil Sie fürchten mußten, es käme alles heraus, nicht wahr?«
    »Ja«, hatte Belloff geheult, »die Gründe, die Gründe.« Doch er gab nicht auf. »Bloß ein einziges Mal«, schrie er, »habe ich diesen Jungen gesehen, an diesem Abend, und dann nie wieder. Ich wußte doch nicht, wer er war, keiner hat es gewußt, Kemper auch nicht. Die Katja hat ihn ja zuerst auch nicht erkannt.«
    Ina sah ihre Hände auf den Griffen seines Rollstuhls und wußte nicht, wie die da hingekommen waren. »Sie war dabei? Sie hat den Jungen da – gesehen? «
    »Ja, die ist später gekommen und guckt so rum, und da schreit der plötzlich los.«
    Ina sah Kissel an. Der spitzte die Lippen, als würde er gleich pfeifen.
    Belloff sagte: »Es wußte doch keiner, daß er ihr Sohn ist. Sie hat’s wohl selber nicht mehr gewußt, ich meine, wir wußten überhaupt nicht, daß sie Kinder hat. Nur Kemper, der hat es gewußt. Und jetzt ruft er nach ihr, und da hockt sie sich hin zu ihm, aber wir dachten, sie will nur nach ihm gucken, wir wußten nicht, daß die sich kannten.«
    »Er hat nach ihr gerufen«, sagte Ina. »Was – was hat er –«
    »Na, Mama halt. Was sie so rufen.«
    Sie drehte sich um und sah ein kitschiges Bild an der Wand. Blumen. Sie wollte es auswendig lernen, um es gleich hier mit den Augen noch einmal zu malen, dieses potthäßliche Bild mit den bescheuerten weißen Blumen auf blauem Grund.
    Mama, Mama.
    Wenn es wenigstens blaue Blumen wären auf weißem Grund oder lila Orchideen auf einem ganz sanften, gebrochenen Weiß, dann könnte man ja drüber reden, über Orchideen. Nicht über das da, nicht über Geranien oder wie das Zeug hieß, wer malte denn Geranien und welche Deppen hängten sich das hin?
    »Sie ist ja wieder weg«, sagte Belloff hinter ihr. »Hat ihn da einfach liegen lassen, hat kein Wort geredet und ist weg, so ist die nämlich, aber was kann ich denn dafür? Alle, die da waren, sind wieder aufgestanden, aber ich – gucken Sie mich doch an, und da kommen Sie hierher, wo sie doch mein Leben zerstört hat, ich bin das Opfer, gucken Sie mich doch an.«
    »Ja.« Sie hatte sich wieder zu ihm umgedreht. »Ich sehe Sie. Und?«
    »Flott, die Frau Kammer.« Kissel warf den Wagenschlüssel in die Luft und fing ihn mit der anderen Hand wieder auf. »Wie findest du das?«
    Ina schloß die Augen und hörte aufs neue Katjas Worte: »Ich will nicht blind durchs Leben laufen, ich will alles sehen können, alles hören, alles fühlen.«
    Hast du dir anders vorgestellt, ich weiß. Was hast du gefühlt? Mama ruft er, und dann? Siehst ihn da liegen, nach Jahren. Vielleicht denkst du dir ja jetzt, daß es besser wär, man würd etwas weniger fühlen und sich irgendwie durchwursteln, solange es geht.
    »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Ich find’s eigentlich gut.«
    Er lachte. »Laß das Pagelsdorf nicht hören. Wird ein schlechtes Gewissen gehabt haben, die Gute. Holt die Gören nicht mehr ab, und dann trifft man sich wieder, stell dir das mal vor. Aber es zeigt ihre Gewaltbereitschaft, können wir uns darauf einigen?«
    »Nein«, sagte sie, »können wir nicht. Gewaltbereitschaft, das ist auch wieder so ein Scheißwort.«
    »Weißt du ein besseres? Später kann dann was schiefgelaufen sein. Macht sie mit Robin ebenso kurzen Prozeß.«
    »Blödsinn.«
    »Blödsinn ist auch ein Scheißwort. Mehr fällt dir nicht ein?« Kissel machte ein Polizeipsychologengesicht, seine Brauen hoben sich etwas, und sein Blick bohrte sich in ihre Augen. »Was ist los, bist du plötzlich mit der Kammer verwandt?«
     
    Stimmen und Rauch hingen in der Luft und eine leise, traurige Melodie. Der Taubenschlag bereitete sich auf den Abend vor, saugte die Nachbarn der umliegenden Häuser auf und ihre Geschichten vom Tag. Würfelnde Rentner hockten an einem Tisch unterm Fenster, Taxifahrer lasen Zeitung, und am Tresen zankte sich ein Paar. Am kleinsten Tisch, halb verdeckt von der Garderobe, saß Dorian Kammer wie einer, der sich verstecken wollte vor der Welt. Ein Salatteller stand vor ihm, über dem er die Gabel kreisen ließ, als wäre er auf der Suche nach Raupen.
    »Laß ihn

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