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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Doch erst als sie seine Füße richtig sah, schnappte sie nach Luft, denn weder ein Strick um den Hals noch ein Messer in der Brust vermochten das Ende eines Menschen so endgültig zu demonstrieren wie dieses dämliche Zettelchen, das hier an seinem Zeh baumelte. Nackt unter einem Tuch, mit einem Namensschild am großen Zeh, das war alles, was gewesen war. Vor was haben Sie Angst, hatte der Polizeipsychologe wissen wollen, doch konnte sie es nicht sagen, weil ihr so oft die richtigen Worte fehlten. Aber es war ja schon besser geworden, seit sie das Schlimmste hatte aussprechen können: Ich hasse diese Leichen, so richtig gewöhn ich mich nicht dran. Sie hatte ja geglaubt, daß sie das nicht sagen dürfe, noch nicht einmal denken, fand, daß es genauso unaussprechlich war wie für einen Priester ein Satz wie: Gott ist ein Arsch. Er meinte, das Nichtbegreifenkönnen des Todes sei das Schlimmste von allem, doch diesen Satz hatte sie nicht verstanden.
    Kaugummikauend sah sie hin, denn das beruhigte die Nerven, weshalb sie sich beim Betreten des Gebäudes für Gerichtsmedizin so automatisch Kaugummi in den Mund stopfte wie sie Techno oder Heavy Metal hörte, wenn sie alleine Auto fuhr. Sollte Dr. Opialski das als ungehobelt empfinden, so war es ihr egal, lieber ungehobelt als unprofessionell. Früher war das alles noch schlimmer gewesen, da hatte sie nur so getan, als gucke sie hin, voll panischer Angst, gleich umzukippen und sich fürchterlich zu blamieren. Und der verdammte Boden war nicht steril. Immerhin gab es auch freundliche Pathologen, die einen woanders empfingen und nur erzählten, was ihnen aufgefallen war. Er hier nicht, Opialski zeigte die Früchte seines Tuns.
    »Und nach Eintritt des Todes«, erklärte er, »fließt das Blut nicht mehr.«
    »Ja, schon klar«, fuhr sie ihn an, worauf er lachte, als hätte sie einen sagenhaften Witz gerissen.
     
    Später im Präsidium umklammerte sie ihr Notizbuch. »Die machen sich einen Spaß daraus, oder? Ich meine, der muß mich nicht in jedes Organ gucken lassen, das hilft mir später auch nicht.«
    Sie saßen im Konferenzraum der Mordkommission, Kissel, Hauptkommissar Stocker und der leitende Beamte Pagelsdorf. Stocker sagte: »Sie müssen sich doch ein Bild machen.«
    »Von der Leber, ja?« Sie schlug das Notizbuch auf. »Also, das ist vollkommen bescheuert.«
    »So, aha.« Pagelsdorf sah sie tadelnd an, er mochte ihre Ausdrucksweise nicht. Aber sie arbeitete daran. Absurd hätte sie sagen sollen, bizarr, skurril, befremdlich – ihr Fremdwörterlexikon, in dem sie gelegentlich blätterte, war doch voll von großspurigen Begriffen. Sie räusperte sich. »Man hat ihm mit einer Stichwaffe mehrere Verletzungen beigebracht, die durch innere Blutung zum Tode führten.«
    Sie atmete durch. Der Satz war gelungen.
    »Der Angriff wurde von hinten geführt, sagt der Pathologe.«
    »Feigheit siegt«, murmelte Kissel. »Oder er konnte ihm nicht in die Augen sehen.«
    Ina räusperte sich. »Nun ist es so, daß er – wie soll ich sagen – zugedeckt am Fundort lag, also nicht so verscharrt, wie man das meistens sieht. Die Decke war nur über seinem Körper, nicht über dem Gesicht. Ist auch nicht so weit verbreitet.« Sie sah an Pagelsdorf vorbei, vage, unaussprechliche Bilder im Kopf. »Ich meine, das sah so nach perverser Fürsorge aus. Der Junge ist halb zerfetzt worden, und dann wird er so hingelegt, so – behutsam. Das hatte ich gemeint mit dings, mit bescheuert. Außerdem ist anzunehmen, daß er nicht nur diese ärmellose Weste trug, der Pathologe hat noch Faserspuren gefunden, die von einem weißen T-Shirt stammen. Es ist versucht worden, das Blut vom Körper abzuwaschen.«
    »Fundort war nicht Tatort«, sagte Kissel. »Die Decke gibt nichts her. Faserspuren von Robins Weste, Robins Blut. Die Techniker vermuten, die Decke hätte jahrelang irgendwo gelegen, in einem Auto vielleicht. Ist dann ausgeschüttelt worden.« Er nahm einen Zettel vom Tisch. »Todeszeit?«
    »Dienstag, meint er, zwischen zwölf und sechzehn Uhr. Er ist dann wohl gegen Abend auf diesen Friedhof gebracht worden und lag dann fast vierundzwanzig Stunden.«
    »Auf dem Friedhof vierundzwanzig Stunden?« Pagelsdorf schüttelte den Kopf.
    »Na ja«, sagte Kissel, »das ist erstens ein versteckter Weg, und zweitens werden Gräber ja auch nicht täglich frequentiert.«
    Ina unterdrückte ein Kichern, weil er das am frühen Morgen, als Pagelsdorf nicht anwesend war, ganz anders ausgedrückt hatte: »Da hat

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