Sterntaucher
und den anderen zum Mitwisser gemacht, zum hündisch ergebenen Söhnchen, das schwieg? Hör zu, ich komm an deinen Sohn nicht ran, Frau Katja Kammer, ich krieg das wieder mal nicht hin. Hab mich nicht getraut, ihn, den Kollegen, zu fragen, was ich wirklich wissen will: ob er weiß, daß seine Mama zugesehen hat, wie eine Frau halb totgefoltert wurde, und ob er weiß, daß Robin das wußte.
Hat er als kleiner Junge schon vor sich hingeflüstert, hast du das bemerkt? Ich würd gern wissen, wie du damit umgegangen bist, komm doch raus aus deinem Loch und laß uns reden.
Hast du Robin getötet? Konntest du ihm dabei nicht in den Augen sehen? Das war eine verdammte Anzahl Messerstiche in den Rücken des kleinen Kerls, dem du Geschichten von Vögeln erzählt hast, von Trottellummen und Sterntauchern und sonstigem gefiederten Volk.
Nein. Ich glaub das nicht.
Verdammt, Frau Kammer, ich muß mir dir reden, ich würd dich gern einmal sehen.
Noch immer guckte sie auf die Bierpfütze, die sich nicht entschließen konnte, bis zum Rand des Tresens vorzudringen. Als sie sacht darüber pustete, um ein bißchen nachzuhelfen, knallte die Wirtin einen Lappen darauf, ein vorüberfliegender Schatten vor ihren Augen, gefolgt von einem dumpfen Schlag – Hände auf den Rücken. Rücken an die Wand.
Die Wirtin sah sie an, mit einem gleichgültigem Blick aus glasigen Augen.
Ina räusperte sich und versuchte den Lärm um sie herum zu ignorieren. »Robin Kammer war hier Gast, ja?«
»Manchmal kam er. Nicht so oft.«
»War er allein?«
»Ja.«
»Was hat er gemacht?«
»Was wird er gemacht haben? Was denken Sie, was man in einer Kneipe macht, beten?« Die Wirtin lehnte sich gegen den Tresen. »Sie sind Polizistin? Ich meine, Sie haben sich nicht vorgestellt.«
Ina zeigte ihr ihren Ausweis, und als die Frau ihn nehmen wollte, zog sie die Hand leicht zurück. An die Vorschriften halten. Niemals den Ausweis aus der Hand geben.
»Frau Henkel«, sagte die Wirtin gedehnt, wie hieß sie gleich, Hufnagel? »Es war schon einer da. Ist das so üblich bei Ihnen, daß Sie sich nach den eigenen Kollegen erkundigen?«
»Sie meinen –« Ina wußte, was sie meinte, doch sie ließ sie reden.
»Ich meine, daß er mich gefragt hat, ob Dorian am Dienstag hier war. Ja, er war hier.« Sie machte eine abwehrende Handbewegung, als ein Mann am anderen Ende des Tresens nach ihr schrie, » Billa, laminet verdurstn. «
»Vielleicht hätt ich mich gar nicht erinnert, aber er hat mir den Bierhahn repariert, das war Dienstag. Hat ewig gedauert, und er hat’s nicht so richtig hinbekommen, mein Mann war ja wieder nicht da. Mittwoch ist dann einer von der Brauerei gekommen.« Sie brachte dem Verdurstenden ein Bier, das schon bereitstand, und kam mit langsamen Schritten zurück. Sie ging, als wären ihr die Schuhe zu eng. »Was noch?«
»Robin«, sagte Ina. »Haben Sie beobachtet, daß er hier versucht hat, Leute aufzureißen?«
»Hier?« Frau Hufnagel stieß die Luft durch die Nase. »Nein, das habe ich nicht beobachtet.«
»Oder daß er mit jemandem ins Gespräch gekommen ist?«
»Mit seinem Bruder, ja. Er kam, um ihn zu treffen.«
»Ich suche Leute, die ihn gekannt haben.« Ina seufzte, weil es mit diesen Wirten immer dasselbe war, mit Wirten und mit Taxifahrern. Entweder erzählten sie ungefragt die eigene Lebensgeschichte, wobei sie besonderen Wert auf alle Ehen, Scheidungen und Unterhaltsklagen legten, oder sie bekamen das Maul nicht auf.
»Er war allein, glaube ich. Ein kleiner Einzelkämpfer, der sich auch in der Rolle gefiel.« Frau Hufnagel nahm Inas leeres Glas und behielt es in der Hand. »Hier hat er jedenfalls keinen abgezockt, falls Sie das meinen, er war keiner, der –« Einen Moment sah sie aus, als würde sie den Faden verlieren oder hätte Schmerzen; Billa, kreischte es wieder von irgendwoher. »Er hatte Jobs, hat hart gearbeitet. Fragen Sie Dorian, wo das war, er hat nicht so viel mit mir geredet.«
»Wann haben Sie Robin das letzte Mal gesehen?«
»Irgendwann –« Die Wirtin drehte ihr den Rücken zu und zog einen Salatteller heran. »Ich weiß nicht, irgendwann vorher.«
»Mmh.« Ina strich sich das Haar zurück. »Hinterher geht nicht.«
Frau Hufnagel mochte offenbar keine dünnen Witze. Sie fuhr
herum und schob ein Glas zur Seite, das einen Moment zu tanzen
schien, bevor es sich dann doch entschloß, nicht umzukippen.
»Sonst noch was?«
»Dorian ist oft hier.« Ina ließ den Blick über den Tresen schweifen und sah
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