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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Nicole.
    Nicki, du hast das doch im Griff oder? Die Anstrengung machte Nicole ein wenig atemlos, doch klang ihre Stimme höchstens so, als käme sie gerade die Treppe hochgerannt und sagte: Mensch, ist das heiß. Neben ihr stöhnte der Kollege auf, ein Laut wie aus dem Karatekurs, wenn der finale Schlag zu führen ist, denn als er sich mit einer letzten Kraftanstrengung nach hinten stemmte, hatte er den Toten so weit nach oben gezogen, daß Nicole seine Knie umfassen und halbwegs schieben konnte. Dabei verlor er einen Schuh, dessen Aufprall die Nachbarn mit einem Schrei kommentierten. Beide taumelten sie vom Fenster zurück, und sekundenlang waren nur die Füße des Toten zu sehen, einer mit Schuh und einer ohne, bevor Nicole zurückkam, die Hände aufs Fensterbrett stützte und sagte: »Der war heftig.«
    »Ja«, murmelte Ina. Den Kopf in den Nacken gelegt, blieb sie so reglos stehen wie oben Nicole, und als sie einander eine kleine Ewigkeit lang in die Augen sahen, dachten sie vielleicht dasselbe, wenn sie überhaupt etwas dachten, wenn es nicht nur ein Gefühl war, das sich selten angemessen aussprechen ließ – was für ein beschissener Job.
    Oben in der Wohnung sah sie ihm ins Gesicht. War es eins der Schattengesichter, die man auf dem Video sah, das Robin Kammer besessen hatte? Rot war es jetzt, blaurot und geschwollen, wie bei allen Erhängten. Merkwürdig abgeknickt lag der Kopf auf einer Schulter.
    »Das Ende eines Finanzbeamten«, sagte Kissel. »Hat sein Leben in Stille verbracht, jetzt will er wenigstens mit einem Paukenschlag sterben und hängt sich vors Haus.« Wie ein gefangenes Tier bewegte er sich in der Wohnung, rannte hin und her und stieß mit dem Fuß gegen Stühle und Schränke. Es waren die drei ordentlichen Zimmer eines Mannes in mittleren Jahren, der alleine lebte. Die hatten meistens ordentliche Wohnungen, zumal wenn sie nach Feierabend neben der Spur liefen, Wohnungen, die sie zweimal die Woche saugten, um anschließend alle Möbel wieder so exakt zurückzuschieben, daß im Teppich kein zusätzlicher Abdruck entstand. Nirgends ein Zeichen, daß hier jemand gelebt hatte, nur Sauberkeit überall. Dr. Lippert also. So stand es auf der Tür, und so hatte er es wohl gebraucht, das Verewigen seiner akademischen Buchstaben selbst auf dem Türschild. Wenn es jener Dr. Lippert war, den sie im Visier hatten, sammelte er wohl Foltervideos und war vielleicht Gast auf diesen Prügelpartys gewesen und kannte womöglich die Frau im Abendkleid – Klappe zu. Hatte sie gekannt.
    »Der da« – Kissel deutete auf den Kollegen Marquard von der Sitte – »hat’s versaut.« Kissel war kein höflicher Mensch. Möglich, daß er früher anders war, doch jetzt, mit Ende Dreißig und nach zehn Jahren Mordkommission, ging er wie ein Bulle vor, ein echter Bulle, der mit den Hörnern zustieß und dabei niemandem in die Augen sah. Manchmal, wenn es wieder spät geworden war, saß er zurückgelehnt an seinem Schreibtisch, auf seinem Gesicht das Leuchten eines Menschen, der alte Urlaubsfotos betrachtet und sich in all die fernen Lieder zurückdenkt, in denen er glücklich war. Zwei Scheidungen lagen hinter ihm, und er hatte eine Tochter, die er nicht mehr sah. Manchmal glaubte sie, er werde eines Tages Amok laufen.
    »Knallkopf«, sagte Kissel zu Marquard, doch Marquard nahm das nicht hin.
    »Dieser Mann wurde mir von euch genannt.« Er konnte sich nicht entschließen, wen er anschauen sollte, Ina oder Kissel, also guckte er zu, wie der Tote auf der Bahre festgezurrt wurde. »Es gab eine Anzeige gegen ihn. Schwere Körperverletzung, das war damals eine Prostituierte, und der konnte sich rauswinden. Jetzt haben wir wieder was, zwei Aussagen von Prostituierten, ich wollte eine Gegenüberstellung. Und wenn du mir auch noch sagst, daß der wahrscheinlich illegales Material –«
    »Hör zu«, rief Kissel, »ich wollte den befragen in einer aktuellen Geschichte, hab ich das nicht deutlich gemacht? Anschließend hättet ihr ihn haben können, aber was machst du Knallkopf? Schickst ihm eine Vorladung!«
    »Konnte ich denn wissen, was für ein Sensibelchen das ist?« Marquard sah aus, als würde er auf die Bahre spucken.
    »Jetzt isser weg«, stellte Kissel blöderweise fest.
    »Wieso hängt der sich eigentlich nach draußen?« fragte Marquard.
    »Weil am Sims ein stabiler Haken ist.« Kissel ging auf ihn zu, und Marquard sprang zurück. »Hat auf ihn gewartet, muß älteren Datums sein. Vielleicht hat er ihn selber vor

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