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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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verklebte Pfützen, Asche und Bierdeckelreste.
    »Er wohnt in der Nähe, das wissen Sie ja.«
    »Kennen Sie seine Mutter?«
    »Kennen Sie die Jungfrau Maria?« Die Wirtin schmiß Inas Glas ins Spülwasser. »Er hat eine Vorstellung von seiner Mutter, aber wer kennt schon Vorstellungen, Heilige?« Kopfschüttelnd wandte sie sich ab.
    Heilige, Teufel, da gab’s doch einen Übergang, waren das nicht die gefallenen Engel? Ina sah zu, wie die Wirtin mit raschen, heftigen Bewegungen ein paar Gläser spülte und nahm das Geräusch ihres Handys erst wahr, als ein alter Mann ihr auf die Schulter tippte: »Frolleinsche, bei Ihne piept’s.« Vor irgendeinem Einsatz hatte sie mit Nicole Mewes einmal über die Tücken des Handys gesprochen, als sie darauf warteten, jemanden festzunehmen und sich die Nervosität mit sinnlosem Gequassel vertrieben. Ich hasse dieses Gepiepse, hatte Ina gesagt, also hab ich es mal so eingestellt, daß es vibriert, aber je nachdem, wo ich das Ding habe, ist es mir unangenehm, und wenn es in der Tasche vor sich hinvibriert, krieg ich es ja gar nicht mit.
    Unangenehm? hatte Nicole geziert gefragt. Ist doch schrecklich nett, wenn es vibriert.
    Ich weiß ja nicht, wo genau du dein Handy lagerst, Nicki – Waffen und Handschellen griffbereit, hatten sie gekichert wie aufgeheizte Gören.
    Kissel schrie ihr etwas über den Himmel ins Ohr – Himmel? Nein, himmelschreiend. Im Hintergrund ein Geräusch, das sich wie Türenschlagen anhörte, dann pfiff und rauschte es wie bei einem Radio, wenn man den Sender nicht hereinbekam. Sitte verstand sie, Amateure.
    »Was willst du?« Sie hielt sich das freie Ohr zu und stellte im selben Moment fest, daß die Wirtin traurige Augen hatte. Nein, auch das nicht, eher müde und teilnahmslos; ihre Mutter hatte nach dem Tod ihres Vaters so ausgesehen. Doch das war schon eine Weile her, und jetzt hatte sie ja diesen Kerl, ach nein, ihren Bekannten, der als erstes wissen wollte, ob Kriminalpolizistin nicht ein zu harter Job war für eine zarte, junge Frau.
    Depp, blöder.
    »Dieser Wichser vom Finanzamt«, schrie Kissel, »hörst du mich? Hier kommt die Adresse.«
    Es war ein vierstöckiges Wohnhaus von jener Sorte, die ihre Mutter proper nannte, mit Vorgarten, Garagen und fünf Sorten Mülltonnen. Zwei Streifenwagen störten die Ordnung, von denen die Vorderreifen des einen sich auch noch in ein Blumenbeet geschoben hatten. Kissel war nirgends zu sehen, dafür aber ein Kollege von der Sitte und Nicole Mewes, die mit aufgeregten Nachbarn sprach.
    »Ich kann’s net sehen«, rief eine Frau, »mir ist ganz schlecht, ich kann’s net sehen.«
    »Ja, dann gucken Sie auch nicht.« Nicole nahm sie beim Arm. »Gehen Sie jetzt einfach rein und setzen sich irgendwohin.« Sie seufzte, als sie Ina sah, und kam gemächlich auf sie zu. »Für Nachbarn und Gaffer hätt ich gerne Wasserwerfer.«
    Doch würden sie jetzt keine Witze reißen, weder über verstörte Nachbarn noch über vibrierende Mobiltelefone. Ina sagte: »Du hast doch längst Dienstschluß.«
    »Schön wär’s. Ich bin dem Schichtleiter in die Arme gelaufen, als ich uns abmelden wollte, Dorian und mich, und es haben doch sieben Leute Fischvergiftung, all die, die bei der Kollegin Reuter zum Essen eingeladen waren, tja.«
    »Und was ist hier los?« Ina preßte ihre Schultertasche enger an den Körper. »Ich hab den Kissel kaum verstanden am Telefon.«
    »Bei Fisch muß man wissen, wo er herkommt.« Nicole machte eine beruhigende Handbewegung, als jemand aus dem oberen Stockwerk nach ihr rief. »Wir kriegen ihn nicht vom Fleck, ich muß wieder hoch. Geh erst mal ums Haus herum, da siehst du ihn am besten.«
    Ein kleiner Hof lag hinter dem Haus, zwei Quadratmeter Rasen mit einer Bank und Wäschestangen. Keine Leiche, doch hektische Stimmen vom Gebäude her. Ina sah noch nicht hin, sondern konzentrierte sich auf die Sachen, die zum Trocknen hingen, weil die Augen erst Anlauf nehmen, vorbereitet werden mußten wie die Haut auf heißes Badewasser, wenn man zuerst eine Hand hineinschob.
    Jeans, Jogginghosen und taschentuchgroße Babyhemdchen. Bübchen wahrscheinlich, alles in Blau. Zwei kleine Söhne. Was hatte die Kammer auf dem Video gesagt, sie will nicht blind durchs Leben rennen, will alles erleben, alles sehen, was es gibt? Paß auf, ich sag dir, was es bedeutet, alles zu sehen, mal siehst du einen Erschossenen und mal einen Zerquetschten, dann wieder stehst du vor einer Wasserleiche oder hast ein Bündel vor Augen und vor

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