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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Jahren da reingeschlagen, als Vorsorge für schlechte Zeiten.«
    »Das muß eh noch untersucht werden«, sagte Ina, »ob es Suizid war.«
    »So, so.« Kissel lachte. »Vielleicht war’s ja die Kammer, trägt ihn zum Fenster und hängt ihn auf. Singt ihm noch eins. Los, steh hier nicht rum, ich will was sehen.«
    Sie suchten noch, als alle anderen gegangen waren, guckten in Schränke und Schubladen, wühlten sich durch Papierkram vom Finanzamt, durch Socken, Hosen und Unterhemden, und fanden eine Kiste mit Videos in der Küchenspüle. »Warum fängt man nicht gleich da an«, murmelte Kissel. Er richtete sich auf. »Ein Finanzbeamter hat bei einer guten Fee drei Wünsche frei. Wünscht er sich also auf eine einsame Insel mit Sonne, blauem Himmel und klarem Wasser. Hörst du zu?«
    »Mmh«, sagte Ina. Es waren Videobänder ohne Aufschrift und ohne Hüllen.
    »Die Fee erfüllt ihm also diesen Wunsch und fragt nach dem zweiten. Och, sagt der Finanzbeamte, jetzt hätte ich gerne noch eine Superfrau dazu. Die Fee schickt ihm eine Superfrau und erinnert ihn, daß er noch einen letzten Wunsch frei hat. Hach, sagt er, gute Fee, ich möchte nie wieder im Leben arbeiten. Schwupps, saß er wieder im Finanzamt.«
    »Wir sind auch Beamte«, sagte Ina.
    »Ach, du kannst so humorlos sein.«
    »Stimmt gar nicht.« Sie ging in Lipperts Arbeitszimmer und schaltete seinen PC ein. Sie suchte Bilder und fand sie schneller als die Videos, Aufnahmen von blutigen Körpern und verzerrten Gesichtern, Rümpfe ohne Beine, Gesichter ohne Augen. Sie lehnte sich zurück und hatte das Gefühl, daß dieser Stuhl in diesem blitzsauberen Zimmer irgendwie klebrig war und sie unter die Dusche müßte, jetzt gleich.
    »Hat er eine Adressenliste?« Kissel stand hinter ihr und tippte mit zwei Fingern gegen die Rückenlehne. Computer überließ er ihr prinzipiell, und auch auf dem Präsidium schrie er sie herbei, sobald er etwas zu suchen oder nur einzutippen hatte, denn Computer waren gegen ihn, eigens dafür geschaffen, unter seinen Händen abzustürzen und die Arbeit für immer zu verweigern.
    Lippert hatte nur wenige Texte gespeichert, nichts, was sie etwas anging, Gesetzesvorlagen, Durchführungsbestimmungen und Verordnungen aller Art. Doch dann schnippte Kissel mit dem Fingernagel gegen eine merkwürdige Zeichenfolge, die in einem Kommentarfeld am unteren Rand eines noch geöffneten Bildes stand: Guvryr, Znvyäaqre Fge. 54r. »Was soll der Scheiß? Verschlüsselt ist das nicht, das sieht anders aus, mit vielen Zahlen.«
    »Doch«, murmelte Ina, »das ist verschlüsselt, das heißt, nicht richtig.«
    »Ja was nun?«
    »Wo hat er ein E-Mail-Programm?« Sie klickte sich durch, bis sie eins fand. »Da gibt’s so was, das ist ’ne ganz harmlose Verschlüsselung, die machen wir manchmal aus Jux.«
    »Zu Hause?« fragte er. »Da spielst du doch bloß am PC.«
    »Nein, ich schreib auch Mails.«
    »Du schreibst freiwillig? Wem?«
    »Meinen Freundinnen.« Sie startete das Programm und fügte die Buchstaben ein. »Das nennt sich ROT-13 und ist ’ne Verschlüsselung für Arme, also eigentlich bloß ’ne Verschleierung, weil da wird jeder Buchstabe um 13 Buchstaben versetzt. Zahlen gar nicht.« Im Menü wählte sie den Punkt ROT-13 und auf dem Bildschirm erschien Thiele, Mailänder Str. 54e.
    »Hey«, flüsterte Kissel. »Der war gut.«
    Ina streckte die Finger aus, weil sie auch die Tastatur, auf der kein Staubkörnchen lag, als klebrig empfand.
    »Schade eigentlich.« Kissel verschränkte die Arme. »Erhängen geht viel zu schnell.«
    »Ja, noch schneller bist du wohl, wenn du dir die Waffe in den Mund schiebst.«
    »Ich empfinde es als tröstend, die Waffe zu haben.« Er ging ins Wohnzimmer, und sie hörte, wie er den Fernseher einschaltete. »So muß der Wichser hier vielleicht gefühlt haben, wenn er den Haken da draußen gesehen hat.«
    »Komm, sag so was nicht.« Sie hob den Kopf, weil sie darauf wartete, daß er noch etwas sagte, doch hörte sie nur das Summen einer Videocassette, die zurückgespult wurde. Kissel galt als faul. Es hieß, daß er krankfeiere, wann immer sich die Möglichkeit bot. Manchmal knallte er sich mit Pillen zu, gut, das machten sie alle bei zu wenig Schlaf, doch kam es vor, daß sie seine Pupillen nicht mehr sah. Wenn er arbeitete, war er penibel, merkte sich Gefälligkeiten und führte eine Liste mit Leuten, die ihm etwas schuldig waren. Alle guten Menschen, pflegte er zu sagen, sind nur Feiglinge, denn wüßten sie, sie kämen

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