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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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passiert nix, passiert nix, passiert nix. Ein lautes Instrument begleitete ihn, das wie eine kaputte Trompete klang und merkwürdige Funken schlug, blaue Funken, helles Licht. Ein Krankenwagen hielt vor dem Haus, vor dem er stand, und da kannte er sich wieder aus in der Welt. Es war das Haus der Petersen, die längst aufgehört hatte zu schreien.
    Die Sanitäter gingen ohne Bahre hinein, was wohl bedeutete, daß es so schlimm nicht war. Es war aber dennoch sein Werk, nicht wahr? Er trug die Schuld. Er mußte etwas tun.
    Als er in die Stadt zurückging, kam es ihm vor, als würde ihn jemand schieben. Seine Beine schmerzten so sehr wie die Schultern und die Arme, doch er ging immer weiter und kümmerte sich um nichts. Den ganzen Weg über hielt er den Kopf gesenkt, er ging, als schliefe er schon, und nur die Füße waren noch wach und taten, was sie konnten.
    Der Pförtner im Präsidium kannte ihn nicht. Er machte sich wichtig hinter seiner Leselampe und guckte auf Dorians Dienstausweis wie ein Prüfer auf Falschgeld. Zwei Telefone befanden sich in dem Pförtnerhäuschen und etwas, das aussah wie ein kleines Mischpult, eine zerlesene Zeitung, eine Banane und ein Brillenetui, dazwischen der Pförtner wie ein unruhiger Wachhund.
    »Na ja«, sagte er schließlich, »die sind noch da.« Er blätterte eine Liste durch. »Wissen Sie denn, wo’s ist?«
    »Natürlich«, sagte Dorian. Dem argwöhnischen Pförtnerblick endlich entronnen, rannte er in das Gebäude hinein, in dem es nach Bohnerwachs roch. Ein dunkler Gang, in dem man nichts hörte, geschlossene Türen überall. Feierabend. In einer kleinen Küche lehnte einer an der Spüle, den er kannte, ein blonder Typ in schicken Klamotten. Hauptkommissar Stocker wartete darauf, daß sein Kaffeewasser kochte.
    »Guten Abend«, sagte Dorian, »ich möchte zu Frau Henkel oder Herrn Kissel, der Pförtner sagt, die sind noch da.«
    Stocker sah nicht aus, als ob er sich an ihn erinnerte. »Die sind in einer Vernehmung. Ist es wichtig?«
    Ja, es war wichtig, weil er gestehen mußte. Ich habe eine Frau verprügelt. Ich war Polizist. Nehmt mir meinen Ausweis ab, alles, auch meine Waffe, aber die hab ich nicht hier. Befreit mich von Robin.
    »Ja, ist es.« Er räusperte sich. »Ich heiße Dorian Kammer und die Kollegen –«
    »Ah ja, ja«, unterbrach ihn Stocker. Er blinzelte kurz an ihm vorbei und suchte wohl nach Worten. »Nun ja, ehm, das ist eins höher. Zimmer 311.«
    Dorian blieb stehen. Stocker schien zu glauben, er werde da erwartet, aber vielleicht war das ja so, weil sie es alle schon wußten, weil die Petersen angerufen und gemeldet hatte: Es war der Sohn von Katja Kammer. Der, der noch ein bißchen lebt.
    »Kommen Sie«, sagte Stocker, »ich bring Sie hin«, und wortlos stiegen sie zwei Treppen hoch, um in einen Gang zu kommen, der genauso dunkel war und ähnlich roch, nach ewiger Stille, nach Sünde und nach Bohnerwachs. Die Tür des Zimmers 311 wurde von einem uniformierten Kollegen geöffnet, den Dorian nicht kannte, der aber wohl noch das Recht hatte, Uniform zu tragen, weil er sicher keine Frauen schlug.
    Stocker murmelte etwas, bevor er wieder verschwand.
    »Kaffee?« fragte der Kollege.
    Dorian schüttelte den Kopf. Hier kam er sich vor wie im Wartezimmer eines Arztes. Stühle standen herum, auf einem kleinen Tisch lagen Zeitschriften, und hinter der verschlossenen Tür gegenüber des Eingangs war kein Laut zu hören. Als kleiner Junge hatte Robin andauernd Schnupfen, einmal im Monat bestimmt, und ihre Mutter sagte dann, er hätte seine Tage. Einmal waren sie zu dritt beim Arzt gewesen, nachdem Robin so schlimm hingeknallt war, daß er sich die halbe Stirn aufgeschlagen hatte. Eine Narbe war zurückgeblieben, eine kleine, schräge Narbe auf der Schläfe, von der er glaubte, daß sie ihm bei Dämmerlicht ein gefährliches Aussehen verlieh.
    »Was zu lesen?«
    »Nein, danke.« Dorian hörte selbst, wie gestelzt das klang, und er konnte ein Lächeln in den Augen des Kollegen sehen, bevor er wieder in seiner Zeitschrift blätterte.
    War er der Aufpasser hier? Dorian stand auf. Ein Teil der Wand war mit einem dunklen Vorhang abgedeckt, und als er ihn zur Seite schob, konnte er durch eine Einwegscheibe Kissel sehen, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnte. Er bewegte sich nicht, stand so still und lauernd da wie in der Nacht auf dem Friedhof, ein paar Meter von Robins Leiche entfernt. Auch dieser Raum war kahl. Dorian sah einen Tisch, an dem ein Mann kauerte, der

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