Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
weiter, und als sie zum Klavier ging, klang auch das Klavier, als sei es verstimmt. Sie machte viel falsch. Sie merkte es wohl, denn sie fing von vorne an und schlug auf die Tasten. Aber das schöne Lied für ihn und seinen Bruder hätte sie bestimmt richtig gesungen, das Lied, das Sandmännchen für Robin und Dorian hieß, in dem die Sterne von der Sonne erzählen und von der Erde und dem Mond. Alles wäre gut geworden, wäre der Mann im Schattenlicht nicht gewesen. Man sah ihn nicht, sah nur die Coladose, die er auf die Bühne warf, genauso wie man Katja kaum hören konnte, als sie »Komm her, du Arsch« schrie, »komm her, ich kann dich nicht sehen«, weil das Gelächter und die Pfiffe noch viel lauter waren. Wer hatte denn nach diesem Konzert in der Zeitung Kammer kaputt geschrieben, war das die Petersen gewesen? Nein, die war damals wohl zu jung. Aber du verstehst doch, was ich meine, Robbi, nein? So blöd kannst du nicht sein, so stur und voller Haß. Haben sie damals in den Zeitungen über den Coladosenwerfer berichtet oder heute über Ermittler, die laufend falsche Schlüsse ziehen? Nein, haben sie nicht, weil sie alles so hinstellen, wie es ihnen paßt. Robbi, wie soll sie zurückkommen, wenn alles verkürzt und verzerrt wird und nirgendwo die Wahrheit steht? Daß sie auf der Bühne brennen kann, hast du auch gewußt, hast doch das Video gesehen und die tausend Arme, die sich ihr entgegenstreckten. Das ist unsere Mutter, Robin, nicht die, über die eine Petersen faselt oder jene, von der die Henkel Gott weiß was glaubt – Robin, Mensch, was glaubt diese Kuh?
    Heute hat sie gesagt, daß du freigegeben bist. Dorian kicherte; weiß Gott, Zwerg, ich würd dich auch gern wieder freigeben, weißt du das? Die Henkel hatte wieder ihre dunkle Telefonstimme, als sie Anlauf nahm und sich sofort verhaspelte. »Die – ehm«, sagte sie, und er wußte, daß sie nicht Leiche sagen wollte, »also, Robin ist jetzt freigegeben, also, hm, wegen der Beisetzung.«
    Robbi, wie findest du das? Wen sollen wir denn begraben? Ich meine, du bist doch schon begraben, für den Rest unseres Lebens, in mir.
    Du gehst nicht mehr weg, ich weiß. Bist ein Scheißkerl, läßt mich hier Frauen schlagen, machst meinen Körper kaputt und mein Leben, und ich weiß nicht, warum.
    Mir passiert nix, hatte er immer gesagt.
    Robin war klein und dünn und fürchtete sich schnell. Er war aber immer vorsichtig gewesen und hatte die große Lippe riskiert: Mir passiert nix. Warum sagte er so was, wenn es dann doch nicht stimmte? Wie alt war er gewesen, als er ankam und sagte: »Paß auf, Mann, das checken wir«, zwölf? Dorian rieb sich die Stirn, weil er die Worte so genau hören konnte und ihre Bedeutung dennoch nicht verstand. »Das checken wir, es passiert nix.« Er konnte die Brillengläser vor Robins Augen sehen, auf die das Deckenlicht fiel, und hörte ihn atmen, als wäre er gerannt. Das war nicht der Robin in ihm, sondern der andere Robin, ein Kerl in zerschlissenen Jeans, das war sein Bruder, wie er ihn kannte. Warum hatte er das gesagt, warum hämmerten die Worte in seinem Kopf herum? Paß auf, das checken wir. Was denn? Sollten sie warten, bis Frau Tillmann das Wohnzimmer verließ, um wieder Asche aus ihrem stinkenden Aschenbecher auf den guten Teppich zu pusten, war es das? War immer nett gewesen, wenn sie dann irgendwann schrie: SCHON WIEDER EIN FLECK. Tja, dann mußte aufhören zu rauchen, hatte Robin gesagt, Raucher machen Dreck, siehste?
    Verdammt, Robbi, jetzt sagst du natürlich nichts, jetzt, wo ich was wissen will, hältst du dein totes Maul. Es war wichtig, ich weiß, es hatte eine Bedeutung: Das checken wir, es passiert nix. Aber es ist doch was passiert, oder? Ich krieg’s nicht mehr zusammen, Mann, ich komm nicht drauf, weil du mir alle klaren Gedanken entziehst, hast du das früher schon gemacht?
    Er blinzelte ins Licht. Vor ihm Straßen und Häuser in einer Stadt, die ihm fremder wurde mit jedem Tag, wie ging das denn zu? Räume veränderten und Gesichter verzerrten sich, und alles fiel auseinander in klirrende Stücke. Nicole, seine schöne Kollegin Nicole war vor ihm zur alten, häßlichen Frau geworden, doch zwei Minuten später war sie wieder jung. Da stimmte doch etwas nicht, hör zu, Robbi, ich frag dich: Machst du das mit mir?
    Lauschend stand er da und wartete auf Robins Antwort, und als fange sein Bruder plötzlich von weither an zu singen, hörte er seine heiser krächzende Stimme wie in einem gemächlichen Rap,

Weitere Kostenlose Bücher