Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
Totenliedes war. Die Stimmen wurden leiser, und Billa bewegte sich endlich auf ihn zu. Er bestellte Espresso und fing an zu erzählen, was geschehen war, nicht um sich für seine Uniform zu rechtfertigen, sondern weil er es einmal wenigstens erzählen mußte, sonst würde er ja blöd. Nicht alles, nicht jedes Detail, nur daß er auf seiner Schicht den eigenen Bruder tot auf dem Friedhof fand, und dabei mußte er aufpassen, es nicht zehnmal zu wiederholen, weil es so klang, als sei es nicht wahr. Tot auf dem Friedhof, ja, ja. Robin, sein Bruder, der kleine Wicht, der in den Taubenschlag immer bloß zum Schnorren kam, zum Schnorren und zum Stänkern – wieder sah er ihn tanzen, sah seine kleinen Füße, wie sie von der Erde Abschied nahmen.
    »Er hatte seine Brille noch auf«, sagte er.
    Doch scheinbar wollte Billa das alles nicht hören, denn sie starrte ihn nur an, als würde sie gleich Du lieber Himmel schreien. Was hatte Nicole, seine schöne Kollegin, noch gleich gesagt, als sie Robin sah? Du liebes bißchen.
    Billa hatte etwas gegen den Tod, was logisch war, denn in eine Kneipe ging man, um zu zeigen, daß man lebte. Einmal, als er von diesem Selbstmörder kam und es ihr auch noch erzählte, hatte sie verlangt, daß er sich die Hände wusch, bevor er sein Schinkensandwich aß. Hältst du mich für blöd, hatte er sie gefragt, glaubst du, ich hätte das nicht längst getan?
    »Es gibt so viele Polizisten«, murmelte sie gerade so laut, daß er sie in dem Kneipenlärm noch verstand. »Aber du –«
    »Wir sind gerufen worden«, sagte er. »Und der Tote war mein Bruder.«
    Sie sah ihn nur an, sah ihn an wie eine Frau, der er gefiel. Merkwürdig. Zwei Brüder, der eine war tot, während der andere die Liebe der Frauen errang. Nicole hatte ihn an sich gedrückt, und auch die Kommissarin Henkel, die ihn früher höchstens einmal angegrinst hatte, war so sanft mit ihm umgegangen, als könnte er vor ihren Augen wie ein Luftballon zerplatzen, den sie mit ihren lackierten Fingernägeln packte. Jetzt Billa, die sich zu ihm herüberbeugte, nach etwas riechend, das er nicht mochte, nach Gin möglicherweise und billigem Wein. Vielleicht liebten die Frauen seinen Kummer, so als adelte ihn das Leid.
    Aber eigentlich wollte er das nicht, nicht von ihr. Billa war nicht Nicole, und auch die Liebe der Kommissarin Henkel hätte ihm besser gefallen als die Glotzerei dieser verkommenen Schachtel hier. Nein, er wollte nur die Augen schließen, um irgendwohin zu fliegen, wo er noch nie gewesen war, in ein schönes, duftendes, sonnendurchflutetes Land, in dem er tanzen konnte und eine schöne Frau ihm ein Schlaflied von den Sternen sang.
     
    Doch er würde nicht schlafen können, nicht in dieser Nacht. Draußen war es still, nur wenige Autos fuhren an ihm vorbei, und er dachte ans Tanzen.
    Er brauchte nur eine halbe Stunde für den Weg. Bullen fanden sich hier zurecht, selbst als Jungbulle, wie Nicole ihn immer nannte, kannte er sich aus mit diesem Haus, das wie ein unscheinbarer Kasten dastand und doch etwas anderes war, ein Totenhaus. Die Kollegen sagten Pathologie dazu, andere Leute sprachen vom Leichenschauhaus, und über der Tür stand Gerichtsmedizinisches Institut.
    So viele Namen. Bist du schon da, Robbi? Als kleiner Bub verschwand er oft, um sich umzugucken in der Welt, und wenn Katja ihn dann an sich drückte, aufschluchzend fast, weil sie solche Angst um ihn gehabt hatte, lachte er und erzählte, wer ihm alles begegnet war, ein schwarzer Hund und ein Riesenmann in einem roten Auto, aus dem die Musik spielte, so schöne Musik. Jetzt hielt er sich schon wieder verborgen und lachte sich vielleicht irgendwo kaputt.
    Bist du da drin, oder haben sie dich irgendwo zwischengelagert? Weiß der Teufel, wie das zugeht bei den Totenträgern, ob sie nicht erst Karten spielen oder ihre Frauen beglücken, falls sie welche haben, bevor sie ihre Fracht in diesem Haus hier abladen, dessen Mauern Kälte abstrahlen, wann immer man in seine Nähe kommt. Ein kalter Strom, der durch den Nabel in das Herz zu kriechen scheint – spürst du es, Robbi, kannst du es fühlen? Dorian legte den Kopf zurück, doch den Sektionsraum konnte er nicht sehen. Dort hinein würden sie Robin morgen schieben, um ihn aufzuschneiden und kaputtzumachen und ihm alles Menschliche zu nehmen.
    Jetzt wartest du nebenan. Bist im Schubladenraum, dessen Tür so schwer zu öffnen ist, als stemmten sich die Toten von innen dagegen, um zu kreischen: Zutritt für Lebende verboten!

Weitere Kostenlose Bücher