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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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war Robin, und Dorian sah zu, wie sein Bruder immer näher kam, ein kleiner weißer Geist mit diesem Tuch um ihn herum.

[ 4 ]
    Nach drei, vier Stunden Schlaf fuhr das Polizistenhirn in ihrem Schädel Geisterbahn – Leiche, frische Leiche wieder, Bruder des Kollegen. Ina kochte Tee für sich und Kaffee für Tom und versuchte die verschlungenen Gedanken einzufangen – halber Brustkorb aufgeschlitzt, sorgsam eingewickelt der Körper in eine Decke. Hat sich nicht gewehrt oder konnte nicht, keine Spuren an den Händen, Pathologen fragen. Pathologie, heute noch hin, die Geräusche dort, das Klacken ihrer Absätze auf dem Boden, diese Kälte. Gekühlte Leichen, der Kleine mit den stillen Augen, Robin Kammer. Robins Mutter finden, die muß doch wissen, was passiert ist, oder weiß die das schon längst? Robins Notizbuch mit den merkwürdigen Eintragungen, KaKa, 1000, -, Hure geh sterben, fang an.
    Sie knallte die Teekanne auf den Tisch, erschrak über den eigenen Lärm und strich Tom durchs Haar. »Sorry.«
    Er packte zwei Scheiben Schinken auf seinen Toast und sagte: »Deine Mutter meint, das wär nervös, daß du so oft was fallen läßt.«
    »Meint sie, aha. Hab ich sie fallen lassen?«
    Mit dem Toast in der Hand deutete er auf das Radio. »Hat einer Benzin geklaut, und die Bu … die Polizisten haben ihn verfolgt und einfach abgeknallt.«
    »Einfach so, ja?« Sie warf ihr Messer auf den Tisch, ein Geräusch, auf das er nicht reagierte.
    »Na, der Typ hatte ’ne Wasserpistole, sind sie drauf reingefallen und haben geballert.«
    »Paß auf, ich sag dir was.« Sie versuchte in seine Augen zu sehen, doch er mampfte vor sich hin. »Wenn ein Kollege abgeknallt wird, hör ich von dir überhaupt nichts. Du kannst dir wohl nicht vorstellen, wie das ist, wenn du noch nicht mal bei einer simplen Verkehrskontrolle weißt, ob du nicht einen Durchgeknallten vor dir hast, der ’ne Pumpgun zieht. Groß reden könnt ihr alle.«
    Er nickte. »Sie haben es aber trotzdem gemeldet.«
    »Ja klar«, sagte sie, »ist genauso wie mit Demos. Werden paar Demonstranten verletzt, ist das auf der Stelle ’ne Topmeldung, aber verletzte Polizisten kommen höchstens mal zum Schluß.«
    Seine Antwort war ein Lächeln, als wollte er sagen: Hast recht und ich meine Ruhe. Über den Rand ihrer Tasse hinweg sah sie ihn an und wunderte sich, was er um diese Zeit schon alles fertigbrachte, reden, summen, lächeln, kauen, super aussehen, alles zugleich. Manchmal staunte sie über seine Zufriedenheit, das Glück, das er empfand, wenn ihn in der Küche das Frühstück empfing oder sie einen Sonntagmorgen im Bett verbrachten, um gewaltige Pläne zu schmieden: Spazierengehen, liegenbleiben, todschick kochen? Er war glücklich, Arbeit zu haben, eine Frau und eine schöne Wohnung – sie kannte die genaue Reihenfolge nicht – während sie sich manchmal schon am frühen Morgen in ein anderes Leben träumte, um den Gedanken zu verscheuchen, daß es Tote gab. Man wußte ja nie, was man zu sehen bekam, und dann blickte sie auf verdrehte Körper, zerstörtes Fleisch und verzerrte Gesichter und glaubte, sie hätte nicht das Recht, das alles zu sehen.
    Sie hatte Modezeichnerin werden wollen.
    Vielleicht fing das jetzt schon an, mit dreißig, daß man überlegte, was man hätte anders machen können. Blödsinnige Gedanken, die nur Leere hinterließen und schlechte Laune, aber vielleicht hätten Zeichentalent und Modefimmel ja doch gereicht. Hör auf zu spinnen, sagten ihre Eltern, geh zur Polizei. Mach’s wie der Dieter, rieten sie, das war ihr Onkel, der es bis zum Hauptkommissar geschafft hatte, dann biste aus dem Gröbsten raus. Sie hatte eigentlich das Gefühl, damit erst in das Gröbste hineingekommen zu sein, doch Polizei klang nach Abenteuern und nach Sicherheit. Sie hatte ja gesehen, wie ihr Vater sich als Schichtarbeiter in einer Großbäckerei zu Tode schuftete, nachdem sein eigener kleiner Laden pleite gegangen war. Immer stiller wurde er von Jahr zu Jahr und immer kleiner, so als verschwinde er zentimeterweise aus dem Leben, bevor er an einem Herzinfarkt starb. Sie wollte nicht so enden, nicht jahrelang ein bißchen sterben, weil so viele Träume zerplatzten und es selten reichte mit dem Geld.
    Aber es hätte vielleicht doch geklappt mit dem Zeichnen.
    »Träumste noch?« fragte Tom. Hatte er die ganze Zeit geredet?
    Sie räusperte sich. »Was sagst du?«
    »Ich sag, wir müßten mal wieder putzen.«
    »Hab ich letzten Freitag erst gemacht.«
    »Merkt man

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