Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
aber nicht.«
    »Willst du Streß, ja?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es sind immer bloß deine Sachen, die rumliegen, du räumst nie was weg. Auf der Fensterbank im Schlafzimmer dieser komische Lippenstift, der liegt schon da, seit wir eingezogen sind.«
    »Der bleibt da auch liegen.«
    »Ein kaputter Lippenstift, was willste damit, hast doch genug andere.«
    »Verdammt noch mal, den hab ich« – sie hob eine Hand und ließ sie wieder fallen – »gesammelt. Ich meine, den hab ich schon ewig, den schmeiß ich nicht weg.«
    »Der ist kaputt. «
    »Darum geht’s doch nicht.« Sie seufzte. »Tommy, ich kann dir nicht immer alles haarklein erklären, du kapierst es ja doch nicht.«
    »Hast du von ’nem anderen Typen, logisch.«
    »Nein, hab ich nicht. Den hab ich mal gefunden.« Sie sah aus dem Fenster, weil sie ihm jetzt nicht in die Augen sehen mußte, um zu wissen, was er dachte: Spinnt wieder. Spinnt öfter mal.
    Schön. Na und?
    »Iß doch«, sagte er, »von dem Bissen wirste nicht satt«, und sie aß noch eine halbe Scheibe Toast und überlegte, wann der Pathologe mit der Obduktion wohl fertig war. Dann würde sie Robin Kammer noch einmal sehen, bevor die gekühlte Schublade ihn verschlang und später dann das Grab.
     
    Er sah noch immer so unschuldig aus, ein kleiner, bleicher Engel in einem großen, kalten Raum. An der Tür blieb sie stehen und sah zu ihm herüber.
    Alles war steril im Sektionsraum, bis auf den Boden, man blieb also besser aufrecht. Sie hatte vergessen, was Leichengifte anrichten konnten, weil sie sich keine Gedanken darüber machen wollte, ob die Leichen neben allem Schrecken, den sie ihr manchmal zufügen konnten, auch noch die Macht besaßen, sie zu vergiften. Leichengifte waren basische Stoffe, das kriegte sie noch zusammen, also etwas Chemisches, und einer davon, so einleuchtend wie einprägsam, hieß Kadaverin.
    Giftig. Giftiges Kerlchen, so hatten die Stricher Robin genannt.
    Frühmorgens war sie am Bahnhof gewesen, um die Jungs auf den Stufen zu befragen, doch Robin Kammer hatte kaum Spuren hinterlassen in ihrer Erinnerung. So ein Kleiner, ja? Der war mal hier, wo isser denn jetzt? Tot? Echt tot? Träge hatten sie ausgesehen und ein bißchen verstört, so als schliefen sie nie und wünschten sich doch nichts so sehr wie Schlaf, um über diesen kleinen Schreck hinwegzukommen. Nein, der hat nie viel geredet, keine Ahnung, ob der auf Freier aus war oder nicht. Giftiges Kerlchen, das schon. Sprach man ihn an in einem ungünstigen Moment, war er schnell bei der Hand mit Beleidigungen aller Art, du Träne, du Döskopp, du Arsch.
    Ratlos blickten sie einander an – was konnte man noch sagen? Manchmal hat er ein bißchen getanzt oder Gymnastik gemacht, weiß der Teufel – stand er auf der Bahnhofstreppe und hüpfte wie blöd auf den Stufen herum. War nervös, ja richtig, war ein kleiner Aufschneider, wenn er mal den Mund aufmachte, einer der großkotzig erzählte, eines Tages Geld zu machen, ordentlich viel Geld. Kann sein, daß er sich Hollstein angeschlossen hat, denn Hollstein, hatten sie gekichert, war eine Seele von Mensch, kochte Pasta, tischte Kuchen auf und wusch die Wäsche, wenn einer bloß nett zu ihm war.
    Aber sonst? Keine Ahnung.
    Mensch, das war doch hoffentlich kein Serientäter, nein? So ein durchgeknallter Psycho, der nachher noch die Runde drehte, was nicht auszudenken war. Aber was soll’s – sie versuchten zu lächeln und zogen die Schultern hoch, als wehte ein plötzlicher kühler Wind über sie hinweg – das stehen wir durch, nicht wahr?
    »Ciao«, rief ihr einer hinterher, »viel Erfolg, Madame!«
     
    Erfolg im Sektionsraum: Achte nicht auf den Hall deiner Schritte, ignoriere die Kälte auf der Haut und bereite dich darauf vor, daß der Pathologe das Tuch wegziehen wird. Schalt die Nase ab, es riecht nicht nach Tod, das nicht, aber nach Konservierung. Es riecht, als lägen sie hier in einer chemischen Lauge wie dieses Monster, das der Lauge dann entstieg – wer war das gleich, Frankenstein?
    Die Obduktion war gerade beendet, und der Pathologe reichte ihr lächelnd die Hand. Wie ein kleiner Junge, der da gar nicht liegen durfte, sah Robin Kammer auf dem Seziertisch aus, eine einzelne Haarsträhne auf der Stirn, die sie wegpusten wollte. Weiß wie seine Haut das Tuch, das ihn bis zu den Schultern bedeckte, doch dann zog der Pathologe es weg wie ein Zauberer, der ein Kaninchen präsentiert. Das rasche Weggucken war ein Reflex, den sie sich abgewöhnen wollte, doch

Weitere Kostenlose Bücher