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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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mindestens achtzig.«
    »Ja, woher soll ich das wissen?« Er klang beleidigt. »Ich war nie bei der Sitte.«
    »Na ja«, sagte sie.
    »Und ich verkehre auch nicht mit Huren, die beim Blasen gelandet sind, ob nun für zwanzig oder für zweihundert.«
    »Ach, du findest, das ist eine Sache für Huren, ja? Unanständig?«
    »Frau Tillmann hat übrigens Karten gespielt.« Er schloß das Fenster, als die ersten Regentropfen aufs Dach fielen und ein Geräusch machten wie Popcorn in der Pfanne.
    »So ’ne blöde Heuchelei«, sagte sie.
    »Canasta oder wie der Scheiß heißt.« Seine Stimme wurde lauter. »Im Café am späten Vormittag, so möcht ich auch mal leben.«
    »Welches Motiv soll sie haben?« Sie schüttelte den Kopf. »Hast du das mal überlegt?«
    Er deutete auf ihre Notizen. »Wie verläßlich ist dein Spezi?«
    »Der verläßlichste, den ich je hatte.«
    »Dr. Dirk Lippert«, murmelte er zufrieden. »Finanzamt, das gefällt mir. Verbotene Videos, Gewalthandlungen, das ist hübsch, aber ’ne andere Baustelle. Wir können ihn höchstens nach Kammer und Kemper fragen.«
    »Alex, vergiß nicht, das ist Jahre her mit dem Video. Vielleicht kennt der die Szene gar nicht, oder er prügelt inzwischen ’ne Beate-Uhse-Puppe.«
    »Vielleicht sind sie beide untergetaucht nach einem gemeinsamen Werk«, sagte er. »Kammer und Kemper, merkwürdige Namensgleichheit, findest du nicht?«
    »Nein.«
    »Hätte sie ihn geheiratet und auf einem Doppelnamen bestanden, hieße sie Kammer-Kemper, wie kindisch.«
    »Hat sie aber wohl nicht.« Ina legte den Kopf zurück. »Dorian«, murmelte sie. »Ich werd mit ihm reden müssen.«
    »Sie versteckt sich«, sagte Kissel. »Wartet ab. In der Zeitung stand Robins Name, aber sie rührt sich nicht.«
    »Ich hab sie auf dem alten Video gesehen. Ich versteh nicht, daß das derselbe Mensch ist.«
    »Ob die da Zofe war? In ihrem Haudraufverein?« Kissel gähnte. »Würde mich brennend interessieren, ob die auch mit zugepackt hat.«
    »Warum interessiert dich das?«
    »Machen Frauen so was?«
    »Töten sie ihre Kinder? Ja, tun sie auch.« Sie schloß die Augen. Der Regen war ein Schlagzeugsolo auf dem Wagendach. Den Großmarkt hatten sie längst verlassen, doch noch immer konnte sie Geli sehen, als schmalen Schatten vor einem Müllcontainer. Nur die Glut ihrer Zigarette hatte geleuchtet, als sie gingen, eine tanzende Glut, die erloschen war, als die Zigarette aus ihren zitternden Händen zu Boden fiel.
     
    Ich komm da nie wieder raus, hatte sie gesagt. Noch nach Jahren hatte Geli gewußt, wie es war, keinen Ausweg zu sehen, nur das Dunkel zu spüren, das den Tod umgab mit seiner ausgestreckten Klaue. Gab es keinen Teil im Hirn, der das Böse für immer verschlang? So ein innerer Müllschlucker müßte das sein oder eine Senkgrube, die nichts mehr an die Oberfläche brachte.
    Eine halbleere Weinflasche stand auf dem Boden, der Fernseher lief ohne Ton. Ina lag auf dem Bett und sah aus halb geöffneten Augen im Zimmer umher, in dem das Fernsehlicht aufblitzte wie Augen in einem maskierten Gesicht. Ein sich selbst reparierendes Hirn könnte man brauchen.
    »Mach doch aus«, murmelte Tom.
    »Ich komm nicht ran. Wenn du dich mal bequemen würdest – ich glaub, ich lieg auf der Fernbedienung.« Sie küßte seine Schulter und boxte dann dagegen, doch blieb er faul und satt auf ihr liegen, was nicht das Schlechteste war. Ein bißchen Therapie, auf das sie selbst gekommen war, geh heim, schlaf mit deinem Kerl, was brauchst du Polizeipsychologen. Aber so schnell verschwand es nicht. Das Kribbeln hatte im Magen begonnen, als sie mit Geli sprach, und sich dann wie ein gefräßiges Feuer in ihrem Kopf ausgedehnt, wo es eine Weile lodern würde, egal was sie tat. Das Zittern in den Beinen, unmöglich, wenn man im Auto saß, war nur allmählich zurückgegangen und hatte ein merkwürdiges Ziehen hinterlassen, als sei sie stundenlang gerannt. Blöd, daß so ein Körper sich selbständig machen konnte, obwohl der Kopf ihm befahl: Laß sein.
    Traumatisches Streßsyndrom. Klingt schick, hatte Tom einmal gesagt, klingt feierlich.
    Sie räusperte sich und murmelte in seine Schulter: »Vorhin war’s wieder da.«
    »Was?«
    Sie streichelte sein Haar. »Ich hab bis zehn gezählt oder so und diese komische Atemübung gemacht, wie er gesagt hat. Aber, na ja –«
    Er richtete sich auf. »Die Verrückte?«
    »Mmh. Ich hab mit ’ner Frau geredet, die was Schlimmes erlebt hat, da kam’s dann wieder, mach doch mal

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