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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Nicole, und die sagte es seinem Schichtleiter, oder, was noch dümmer war, die Henkel sprach mit Billa selbst darüber, die noch gar nichts davon wußte. Nein, mehr Schwierigkeiten konnte er nicht brauchen, sie waren ohnehin schon groß genug. Schmerzen überall, ein fremder Körper, halbtot.
    »Welches Verhältnis hatte Robin zu eurer Mutter?« Ina rührte hingebungsvoll in ihrer längst leeren Tasse. Als sie ihm in die Augen sah, hörte er Robin flüstern, man sollte ihr die Fresse demolieren. Was soll das, Zwerg? Warum kannst du Frauen gegenüber nie höflich sein, warum kannst du mir gegenüber nicht höflich sein und tust du mir so weh? Er drückte das Kreuz durch, wurde größer auf seinem Stuhl und sah den dunklen Polizistenblick, mit dem sie ihn fixierte, doch was sollte er tun? Robin war zwar nur einen Meter fünfundsechzig groß gewesen, doch dieser Giftzwerg war als ganzer Mensch in ihm drin, und wenn er sich bewegte, hatte Dorian Angst, daß ihm das Rückgrat brach. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, der käme ihm zu den Ohren heraus oder würde seinen Kopf wegsprengen in einer einzigen, schnellen Bewegung. Sie konnte sich das nicht vorstellen, nein, was hatte sie schon mit sich herumzutragen außer zwei ansehnlichen Brüsten, die sie vorzeigte in diesem hautengen – wie nannten die Frauen das, Top? Selbst wenn sie schwanger wäre, wüßte sie es nicht, denn wie sollte sie begreifen, wie es war, einen ausgewachsenen Menschen zu tragen, halb tot und halb lebend, einen Geist im eigenen Körper, einen kleinen bösen Kobold, der sich wie ein Schmarotzer in ihm eingenistet hatte, ohne ihn zu fragen?
    »Warst du schon mal schwanger?« fragte er. Das Atmen fiel ihm schwer, und er spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief.
    Ina schüttelte den Kopf und zog die Oberlippe zwischen die Zähne.
    »Willst du es werden?«
    Etwas amüsiert sah sie ihn an, aber auch, schau hin, Robbi, verärgert. Vielleicht merkte sie, daß sie sich das Heft aus der Hand nehmen ließ, denn Bullen tun sich schwer damit, Bullen zu befragen.
    »Was wolltest du wissen?« fragte er und hörte sie wieder seufzen, leise, aber nachdrücklich wie eine Lehrerin, die es dem Klassendümmsten das zehnte Mal erklären muß.
    »Also gut, das Verhältnis«, sagte er gedehnt. »Zum Beispiel hat sie uns Märchen vorgelesen.« Er schob die beiden Hälften des auseinandergerissenen Bierdeckels wieder zusammen. »Sie hat angefangen, ein Märchen vorzulesen, und hat dann mittendrin aufgehört und uns gefragt, wie es weitergehen könnte. Da haben wir dann oft stundenlang über das Märchen geschwatzt, weil – es hätte ja so oder so ausgehen können. Gut oder böse. Sie hat uns immer geglaubt, was wir sagen. Sie war so oft unterwegs zu Konzerten, aber sie hat uns mitgenommen, wenn es ging, sie hatte immer viel Zeit für uns.«
    »Und dann?« fragte Ina leise. »Was ist passiert?«
    Er bemühte sich, nicht zu kichern, als Robin, ausgerechnet Robin ihm erzählte, daß sie es sicher dringend nötig hatte, so wie sie guckte. Laß es, wollte er ihm zuflüstern, hör auf, aber sein Bruder hörte nicht auf, wollte ihm nur weh tun, oder nicht? Wollte ihn zerstören. Hörte nicht auf zu strampeln und zu keifen, bis es doch jeder hier im Raum hören mußte, jeder. Warum begriffen sie nicht, welche Schmerzen er hatte, wie weh ihm der Rücken tat, warum taten alle so, als sei alles normal? Er wurde doch krank davon, richtig krank; Robbi, verstehst du das nicht? Hör auf, flüsterte er, ich sag’s dir, sei still und tu mir nicht mehr weh, ich schaff das nicht, weißt du, kann dich nicht ein Leben lang tragen, bis wir beide sterben, erst ich und dann du ein zweites Mal, oder stirbst du nie?
    Willst du niemals sterben, Robbi, nie woandershin gehen? Als er aufsprang, hörte er, wie sein Stuhl umfiel, doch kümmerte er sich nicht darum, denn was er brauchte, war Platz, Platz in sich selbst und ein bißchen Luft zum Atmen. Er schlug einen Arm weg und drehte sich im Kreis, bis er die Tür entdeckte, die ihn endlich ins Freie brachte.
     
    Vier Schritte vom Fenster bis zur Tür, so klein war das Zimmer. Vier Schritte, Tippelschritte hin und her. An der Wand stand das zweistöckige Bett, Dorian lag oben, Robin unten. Erst lag Robin oben, das hatten die Tillmanns so gewollt, weil er kleiner war und dünner, aber da jammerte er jede Nacht, daß er rausfallen würde und sterben. Kannst du dich erinnern, Robbi? So ein Schisser bist du gewesen. Hast laufend geheult und

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