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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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mir, und ich lasse Sie mit Lecoq abreisen, anstatt Sie wegen Mordes vor ein preußisches Gericht zu stellen! Ein
     paar Jahre Gefängnis in Ihrer Heimatstadt ist das kleinere Übel – im Vergleich zu einer Hinrichtung in Preußen!«
    Lamartine schnürte es die Kehle zu. Sie hatten ihn. Alles war umsonst gewesen. Der lange Weg erschien ihm nur noch als eine
     Verzögerung seines Unterganges, und der Untergang hatte in dem Augenblick begonnen, als er Stieber in de Baules Amtszimmer
     begegnet war – oder noch eher:als er sich an dem kalten Märzmorgen auf den Weg in den Bois de Boulogne gemacht hatte, um sich
     eine unidentifizierte Leiche anzuschauen.
    Er sah alles ganz deutlich: Es gab einen Plan, und dieser komplizierte und mächtige Plan hatte nur ein Ziel, nämlichseinen Glauben an die Vernunft, an die Gerechtigkeit und an den Staat zu zerstören. Alles – vom Mord an Gaston Franc bis zu
     seinem Besuch in der Stadtvogtei – hatte nur stattgefunden, um diesen Glauben an den Menschen von Grund auf lächerlich zu
     machen. Die anderen, die Anhänger der Unordnung und des Verbrechens, hatten gesiegt.
    »Mann, Sie sind doch Polizist!« zischte Schwarck und schaute dabei angewidert aus dem Fenster. »Nehmen Sie sich zusammen!
     Wie ein Häuflein Elend sitzen Sie da. Ich kann es gar nicht mit ansehen!«
    Lamartine hätte heulen können. Lecoq schoß vor. »So machen Sie endlich den Mund auf!«
    Schwarck bellte gleichzeitig: »Hat er über das Hinckeldey-Dossier gesprochen?«
    Es kostete Lamartine Mühe zu antworten. »Ja.«
    Schwarck lehnte sich zurück und atmete tief durch die Nase ein. »Also los! Fahren wir hin und holen es uns!«
    Lamartine wußte, daß er Stieber verraten mußte. »Es ist im Haus der Baronin von Thun!« sagte er leise.
    »Die Puffmutter!« entfuhr es Schwarck. »Ich hätte es mir denken können.«
    Er stieß das Fenster auf, streckte den Kopf hinaus, wobei sich sein Bauch gegen Lamartines Knie drückte, und nannte dem Kutscher
     eine Adresse. Lamartine spürte, wie die Pferde stärker anzogen.
    Die drei Männer sprachen nicht mehr während der Fahrt. Ab und zu war Schwarcks Schnaufen zu hören. Es klang so, als mache
     er sich Vorwürfe, weil er nicht längst selbst darauf gekommen war, das Haus der Baronin zu durchsuchen.
    Lamartine dachte an sein ungeborenes Kind. Wenn er es überhaupt jemals zu Gesicht bekam, würde es schon erwachsen sein. Eigenartigerweise
     brachte ihn diese Gewißheit nicht mehr auf, das Unabänderliche hatte etwas Linderndes. Lamartine fühlte sich von allen Anstrengungen
     freigesprochen: Was nicht zu ändern war, war eben nicht zu ändern. Diese stumpfe,kalte Ruhe war der Vorgeschmack auf die langen Jahre im Gefängnis.
    Als die Kutsche hielt, zog Lamartine das alte Taschentuch hervor, das Stieber ihm anvertraut hatte. Die drei Männer blieben
     reglos sitzen. Lamartine spürte, wie die Kälte unter seine Kleider kroch, er fühlte sich ihr so schutzlos ausgeliefert, als
     wäre er splitternackt.
    Draußen stieg der Kutscher ab und ging ein paar Schritte über das Trottoir. Er sprach halblaut mit jemandem. Dann kam er zurück
     und klopfte zaghaft. Schwarck drückte die Tür auf.
    »Es gibt ein Problem«, sagte der Uniformierte. »Vor dem Haus steht Glasenapp. Er soll hier warten. Eine halbe Stunde ist bereits
     vergangen. Glasenapp sagt, es wird noch etwa eine Stunde dauern.«
    Schwarcks schwere Unterlippe bewegte sich, als würde er auf seinen Untergebenen einreden, aber der Oberstaatsanwalt beriet
     sich bloß mit sich selbst.
    »Auf was wir warten noch?« drängte Lecoq in gebrochenem Deutsch.
    Schwarck wurde immer nervöser. »Halten Sie sich gefälligst raus, Monsieur!« zischte er. »Das ist eine interne Angelegenheit.«
     Er dachte angestrengt nach und erklärte dann – schon etwas gewogener: »Glasenapp ist der Kutscher des Justizministers Simons.
     Er wartet hier auf den Minister.«
    »Ja, und?« fragte Lecoq.
    »Der Minister befindet sich im Haus der Baronin. Und solange sich der Justizminister dort aufhält, können wir nicht hinein.«
    »Gibt es denn in Berlin eine einzige Gebäude, in die Sie nicht jederzeit dürfen eindringen?«
    Schwarck sah zu dem Portal des zweistöckigen Stadthauses, er preßte die Augen so fest zusammen, daß Wülste über den Lidern
     hervorquollen. »Sie als Franzose müßten das doch verstehen, Lecoq. Es gibt ein solches Haus – den Puff der Baronin, solange
     der Justizminister dort zu Gast ist.«
    Jetzt verstand Lecoq, er

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