Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
worden.
»Ich konnte mich noch nicht entscheiden«, erklärte er mit einem Frosch im Hals.
Die Blonde hakte sich bei ihm unter, Lamartine spürte durch die Kleidung hindurch ihre massige Brust. Sie nötigte ihn sanft
zu einem Gang durch den Raum. Dabei flüsterte sie ihm Besonderheiten der Damen zu, die abkömmlich zu sein schienen. »Sehen
Sie die Rothaarige dort, die uns freundlich zunickt? Sie kommt direkt aus Warschau und hat dort in denallerhöchsten Adelskreisen verkehrt, unsere Kunden loben ihre Raffinesse. Oder die rehäugige Kleine da an der Wand neben dem
bleichen Herren. Ich sollte es Ihnen nicht sagen, aber sie ist noch keine sechzehn – falls Ihnen so etwas liegt. Der Herr,
der auf sie einredet, ist übrigens ein Stammgast, ein sehr angesehener Journalist, der in fast allen Blättern der Hauptstadt
Theaterkritiken schreibt. Ich finde, man sieht ihm seine anstrengende Tätigkeit in dunklen Räumlichkeiten an. Schauen Sie
nur, wie blutarm er ist. Aber wie gesagt: ein eifriger Gast, dessen Name ich Ihnen natürlich nicht nennen werde.«
Lamartine blieb stehen und trank einen Schluck Sekt. »Ihre Chefin soll eine vorzügliche Gesellschafterin sein. Ich würde sie
gerne kennenlernen.«
Die Empfangsdame sah ihn streng an. »Das wollen alle, mein Herr. Aber die Baronin pflegt sich ihre persönlichen Gäste selbst
auszusuchen, Fremde haben da kaum eine Chance. Im übrigen hat sie soeben Besuch eines alten, treuen Freundes. Niemand darf
sie stören. Ich fürchte, Sie müssen sich schon eine andere Gesellschafterin aussuchen. Wie wäre es mit einer reiferen Dame?
Wir haben hier eine sehr beliebte Kollegin. Sie erfährt vor allem wegen ihres warmherzigen, mütterlichen Wesens viel Zuspruch
von den jüngeren Herren, zu denen Sie ja auch noch gehören – wenn Sie mir erlauben, das zu sagen. Die Dame, von der ich rede,
hält sich gerade im oberen Stockwerk auf, aber sie hätte Zeit für Sie. Sie ist eigentlich die Gattin eines angesehenen Bankiers
der Stadt. Zu uns kommt sie, weil sie die Atmosphäre hier als sehr angenehm empfindet ...«
»Und ihr Gatte? Was sagt der Herr zu dem Freizeitvergnügen seiner Frau?«
Die weißblonde Frau zog Lamartine näher an sich heran und flüsterte: »Ihnen kann ich es ja sagen, Sie sind nicht von hier.
Der Bankier – er wird hier nur Herr von K. genannt – pflegt seine Gattin hierherzubegleiten. Er hat sich im Zimmer nebenan
eingerichtet und wirft ab und zu einen Blick auf seine Frau.«
»Danke!« entgegnete Lamartine schnell. »Es liegt mir nicht besonders, als Laienspieler aufzutreten, sei es auch nur vor einem
kleinen Publikum.«
Eigenartigerweise erregte ihn plötzlich der Gedanke, dabei zuzuschauen, wie ein Fremder sich seiner Frau Jeanne bediente.
Lamartine schrieb das ihrem Telegramm zu. Obwohl er die Notwendigkeit der Scheidung einsah, dürstete ihn insgeheim – so gestand
Lamartine sich jetzt ein – nach Rache. Vielleicht hatte der Bankier von K. ähnliche Gründe, hierherzukommen und seiner Frau
zuzuschauen?
Die Dame legte ihre Hand über den Mund und kicherte. »Sie gefallen mir, Monsieur.« Und gleich darauf ernster: »Gefalle ich
Ihnen denn auch ein bißchen?«
»Ja, sehr!« log Lamartine.
Sie zog ihn weiter. »Das klingt nicht sehr begeistert. Aber vielleicht finden wir ja doch noch das Passende für Sie. Da fällt
mir ein, wir haben da etwas sehr Einfaches, eine Frau aus ganz bescheidenen Verhältnissen. Eigentlich paßt sie nicht zum Stil
unseres Hauses. Aber es gibt gute Kunden, die diese Art von Abwechslung mögen. Ich versichere Ihnen, daß die Dame sauber ist
und daß Sie keine unliebsame Überraschung mit ihr erleben. Sie wird übrigens gerade frei ...«
Ein kleiner Mann mit einem Vollbart stieg die Treppe herunter und schloß im Gehen die Knöpfe seiner Weste, was Lamartine als
die erste wirkliche Obszönität in dem Haus der Baronin empfand. »Leider färbt das gewöhnliche Wesen allzu leicht auf ihre
Kunden ab!« flüsterte Lamartines Begleiterin verärgert. Hinter dem Mann betrat eine hochaufgeschossene, schlanke Frau in einem
etwas zu weiten Kleid die Treppe. Lamartine stockte der Atem. Die Frau war Mia.
Lamartine trat instinktiv etwas zurück, so daß Mia, die von der Treppe aus auf die Gäste im Foyer herabschaute, ihn nicht
gleich entdeckte.
»Ein Wort von Ihnen und Sie können sie haben, Monsieur!« flüsterte die Blonde, die sein Zurückschrecken für eine Finessezu halten
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