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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Bahnbillets!« befahl er.
    Lamartine händigte sie ihm aus.
    Der Posten trat ihm in den Weg. Schwarck fuhr den Mann an: »Wegtreten!« Der Posten machte den Weg frei. Lamartine schritt
     langsam auf das Portal des Hauses der Baronin von Thun zu. Das Gebäude war dunkel, nur über der Tür brannte ein schwaches
     Gaslicht. Lamartine konnte nirgendwo ein Türschild finden. Er blieb stehen und sah an der Fassade hoch. Hinter den hohen Fenstern
     waren schwere Vorhänge zu erkennen – der einzige Luxus an dem streng wirkenden Haus.
    Er zog an einem schon leicht verrosteten Knauf, im Innern ertönte eine Glocke. Lamartine sah sich um. Auf der Straße standen
     vier Kutschen, unter denen die des Oberstaatsanwaltes nicht auffiel. Lamartine betätigte die Glocke ein weiteres Mal. Das
     Portal knarrte, dann wurde geöffnet. Ein alter Mann mit einer Kerze erschien. »Was wünschen Sie?«
    »Man hat mir dieses Haus empfohlen!«
    »Sie sind Franzose? Haben Sie genug Geld dabei?«
    »Wollen Sie mich beleidigen?«
    Der Alte hielt die Tür auf, Lamartine schlüpfte hinein.
    Es war herrlich warm in dem Haus der Baronin, es war so warm wie an einem Hochsommertag im Süden, und es war stockdunkel.
     Es roch nach getrockneten Blütenblättern und Parfüm. Der Alte ging, nachdem er das Portal geschlossen hatte, an Lamartine
     vorbei und öffnete eine zweite Tür. Sie traten aus dem Windfang in den Flur, der schwach mit Wandkerzen erleuchtet war. Der
     Alte schlurfte bis zum Ende des langen Flures und öffnete einen Flügel der breiten Fronttür.
    Das große Zimmer war voller Menschen, die miteinander plauderten, ohne auf den Eintretenden zu achten. Die Gäste waren Herren
     der besseren Berliner Gesellschaft, das sah Lamartine an ihrer Kleidung. Die Männer tranken Sekt, die Damen, von denen etwa
     doppelt so viele anwesend waren, tranken rote und orangefarbene Liköre aus kleinen Kristallgläsern. Die Gespräche wurden leise
     geführt. Die Herren, die allesamt einen entspannten Eindruck machten, murmelten, die Damen hörten still und ernst zu, niemand
     lachte; es herrschte die Atmosphäre einer großbürgerlichen Abendgesellschaft.
    Die Damen trugen Kleider, die Damen zu derartigen Anlässen zu tragen pflegten. Nirgendwo war ein Stück Unterwäsche oder Korsage
     zu sehen, wie Lamartine das von seinen dienstlichen Besuchen ähnlicher Etablissements in Paris kannte. Ab und zu stand ein
     Herr auf, knöpfte stehend den untersten Knopf seiner Weste zu und ließ einer der Damen – alle Altersgruppen waren vertreten
     – den Vortritt nach oben. Im Obergeschoß waren zwar Schritte und leise Stimmen zu hören, aber auch dort schien es eher wie
     in der Büroflucht eines Amtes als wie in den Séparées eines Hauptstadtbordells zuzugehen.
    Ein Dienstmädchen mit einer Haube, einem langen Rock und einer Spitzenschürze trat auf Lamartine zu. Sie trug ein Tablett
     mit einem Glas Sekt. Lamartine bediente sich und begann, durch den Raum zu wandern.
    Eine ordnende Hand schien die Damen nach mathematischen Prinzipien auf die Herren verteilt zu haben. Die Besucher,die gewichtiger aussahen, wurden von bis zu drei Damen umlagert, einige jüngere und weniger bedeutende Herren, die auf Stühlen
     an den Wänden Platz genommen hatten, wurden von jeweils nur einer Dame betreut. Keine der Damen war untätig.
    Lamartine schaute nach oben. Die Baronin hielt sich wahrscheinlich mit dem Justizminister in einem der Séparées auf. Lamartine
     wollte gerade die mit einem roten Läufer ausgelegte Treppe betreten, als er von einer etwa fünfundvierzigjährigen, üppigen
     Blonden, deren Hinterkopf ein mächtiger Dutt schmückte, angesprochen wurde.
    »Es ist üblich, sich hier unten erst einmal nach einer passenden Begleitung umzusehen, bevor man sich nach oben zurückzieht«,
     erklärte sie lächelnd.
    »Ich sehe nicht, daß eine der Damen gerade frei wäre«, entgegnete Lamartine.
    »Aber, mein Herr, wir führen ein erstklassiges Haus. Wenn unsere Kapazitäten ausgeschöpft wären, hätte Gustav sie gar nicht
     eingelassen. Sagen Sie mir Ihre Wünsche, und ich werde alles Nötige veranlassen.«
    Lamartine wurde verlegen. Obwohl er nicht wirklich als Freier kam, war es ihm unangenehm, derart unverblümt auf seine Absichten
     angesprochen zu werden. Neben all den anderen Unterschieden zwischen Berliner und Pariser Häusern war das der auffälligste:
     Niemals wäre der Besucher eines Pariser Etablissements schon beim Eintreten derart in Verlegenheit gebracht

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