Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
nickte mehrmals leicht und lehnte sich dann steif gegen die Rückwand der Karosse. Nach einer Weile
schoß sein Kopf vor. »Aber sagen Sie nicht, Sie und Simons sind eine Herz und eine Seele? Haben Sie nicht zusammen Stieber ... wie sagt man: zur Strecke gebracht?«
»Natürlich«, ächzte Schwarck. »Politisch sind wir dicke Freunde. Seit Jahren schon helfen wir uns gegenseitig gegen unsere
Feinde. Und sobald der Minister das Etablissement verlassen hat, werden wir das Haus stürmen. Aber eine Razzia, bei der der
Justizminister in Unterhosen aufgebracht wird, werde selbst ich nicht überleben, Lecoq!«
Wieder wurde lange geschwiegen. Der Posten ging vor der Kutsche auf und ab.
»Eine Stunde – sagte das der Mann?« fragte Lecoq nach einer Weile pietätvoll.
»Mindestens!« antwortete Schwarck so leise, als hörte die gesamte Berliner Presse zu. »Herr Simons ist ein großer Verehrer
der Baronin von Thun.«
»Aber diese Dame ... sie ist ein Gehilfin von Stieber.«
»Sie ist jedem großen Mann in der Berliner Justiz eine Gehilfin gewesen – und das wird auch noch eine Weile so sein. Man lobt
ihre Unparteilichkeit.«
»Damit kann es ja nicht so weit her sein, wenn sie diese Dossier in ihre Bordell versteckt. Aber, lieber Schwarck, das ist
Ihre Sache. Wir – mein Landsmann und ich – haben alles ... haben unsere Schuldigkeit getan. Eigentlich wir könnten uns eine Kutsche anhalten und zum Bahnhof fahren. Vielleicht bekommen
wir heute noch eine Zug in die Richtung Westen.«
»So einfach ist das nicht, Lecoq. Ich brauche Ihren Schützling hier. Oder glauben Sie, die Dame wird so ohne weiteres herausgeben,
was Stieber ihr anvertraut hat?«
»Ein paar Hiebe mit der Reitpeitsche auf den bloßen Hintern täten bei der adligen Dame sicher ihre Wirkung,« fauchte Lecoq
auf französisch.
Schwarck schien ihn zu verstehen, sein massiger Oberkörpergeriet in Bewegung, er wackelte. Der Oberstaatsanwalt lachte in sich hinein. »Lecoq, dieses Vergnügen haben sich schon einige
Herren der Berliner Gesellschaft gegönnt. Aber glauben Sie mir, selbst das müssen Sie bei der von Thun teuer bezahlen – und
ein Geheimnis hat auf diese Art noch keiner aus ihr herausbekommen.«
Lecoq verkroch sich in seine Ecke und betastete den Kopfverband.
»Sie werden keinen Erfolg haben!« sagte Lamartine leise.
Schwarck fuhr ihn an: »Halten Sie Ihren Mund!«
Lecoq drehte leicht den Kopf: »Wieso nicht?«
Lamartine antwortete: »Stieber hat mir ein Zeichen mit auf den Weg gegeben. Ohne dieses Taschentuch hier ...« Er hielt das Tüchlein hoch. »Ohne dieses Zeichen wird die Dame die Dossiers nicht herausrücken.«
»Ja, und?« blökte Schwarck verärgert. »Dann zeigen Sie es ihr, fertig!«
Stieber hat recht, dachte Lamartine: Die, die ihn ins Gefängnis gebracht hatten, waren Kretins.
»Glauben Sie denn, Herr Oberstaatsanwalt, die Dame wird auf dieses vereinbarte Zeichen ansprechen, wenn ich mit einer Eskorte
von Polizisten anrücke?«
Schwarck starrte Lamartine an. Seine Nasenflügel bebten.
Lecoq rutschte weiter vor. »Lamartine ist raffiniert, in Paris er gilt als der beste Kriminalist in die Stadt«, sagte er schnell.
»Lassen Sie sich von ihm nicht machen etwas vor!«
Schwarck ließ seinen Blick nicht von Lamartine. »Gehen Sie hinein!« sagte er nach einer Weile ruhiger. »Geben Sie sich als
Freier aus. Meinetwegen gehen Sie mit einem der Mädchen aufs Zimmer. Aber versuchen Sie, an die Baronin heranzukommen! Geben
Sie ihr das Gefühl, daß Sie heimlich gekommen sind, um in Stiebers Auftrag das Dossier zu holen! Haben Sie mich verstanden?«
Lamartine nickte.
Lecoq fauchte: »Das geht nicht, er wird fliehen!« Schwarckmachte eine knappe Bewegung, die bei einem Menschen wie ihm kraftvoll wirkte. Lecoq verstand und wich zurück.
»Lamartine wird das tun, was ich von ihm verlange, nicht wahr?« sagte Schwarck mit einem Blick auf Lamartine. »Wenn nicht,
ist er in wenigen Stunden wieder eingefangen und wird wegen Mordes vor Gericht gestellt, nicht wahr, Lamartine?«
»Dann brauche ich Geld!« entgegnete Lamartine.
»Was?«
»Wenn ich mich als Freier ausgeben soll ...«
»Unverschämt!« flüsterte Lecoq.
Schwarck zog seine Brieftasche hervor und gab Lamartine zwei große Scheine. »Das würde sogar für die Baronin reichen ... Nachher hole ich’s mir wieder.« Er stieß die Tür der Karosse auf.
Lamartine steckte das Geld weg. Lecoq hielt seinen Arm fest. »Die
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