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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Champagnerflasche führten?
    Nach etwa einer halben Stunde kamen zwei Burschen in schmutzigen Kleidern mit einem offenen, einachsigen Lattenrost-Wagen
     lärmend den Weg heraufgewackelt. Sie packten den steifen Toten und warfen ihn auf die Ladefläche. Lamartine wollte erst gegen
     den pietätlosen und wenig sachgemäßen Umgang mit der Leiche protestieren, dann aber dachte er daran, daß die Leichentransporteure
     in den letzten Wochenwohl Tausende toter Leiber hatten wegschaffen müssen, darunter viele Frauen und Kinder – und er hielt seinen Mund.
    Der Inspektor machte sich mit seinem Kollegen auf den Rückweg. Sie trotteten stumm und mit gesenkten Köpfen hinter dem Wagen
     her, als befänden sie sich schon auf der Beerdigung des Toten. Die aber – das wußte Lamartine – würde noch lange nicht stattfinden.
     
    Auf dem Revier am Bois de Boulogne unterschrieb Lamartine einige Formulare, dann bat er die beiden Gendarmen eindringlich,
     sich bei ihm zu melden, falls ihnen irgend etwas in Zusammenhang mit dem Toten aus dem Wald zu Ohren kommen sollte. Sie nickten
     schwer und sahen ihn aus stumpfen Augen an. Da wußte Lamartine, daß er nie wieder etwas von ihnen hören würde.
    Als der Inspektor am späten Nachmittag wieder auf seiner Dienststelle in der Innenstadt eintraf, war er erleichtert, daß ihn
     kein Kollege auf den Toten aus dem Bois de Boulogne ansprach. Er erledigte einige dringende Schreiben, führte zwischen Tür
     und Angel eine Besprechung mit seinen Untergebenen, die schon seit Stunden mit den übrigen Fällen des Tages auf ihn warteten,
     und machte sich dann eilig auf den Weg nach Hause.
    Jeanne war verärgert, weil er sie hatte warten lassen und es nun zu spät war für den Gang zum Arzt. Immerhin hatte sie keine
     Schmerzen mehr. Sie legte sich, nachdem sie ihren Gatten zur Strafe lange genug angeschwiegen hatte, in ihr Bett und ließ
     sich von der Mutter frischen Pfefferminztee kochen. »Laß es ihm nicht durchgehen!« flüsterte die Alte, als sie der Tochter
     die dampfende Tasse mit dem Tee brachte.
    Lamartine aß etwas von dem Kartoffel-Mehl-Brei, den man ihm warm gehalten hatte, bedauerte, daß es immer noch kein Fleisch
     gab, verzog sich in die Zimmerecke und durchblätterte die Notausgabe seiner Zeitung. Es interessierte ihn vor allem der Bericht
     über die Feuersbrunst, die einige Tage zuvor imStadtteil Saint-Denis ausgebrochen war. Die Krönung des deutschen Kaisers Wilhelm I. im Spiegelsaal zu Versailles hatte den
     Widerstandswillen der Pariser von neuem geweckt. Mit 100   000   Soldaten, zumeist auf die Schnelle rekrutierte und nur notdürftig ausgebildete Einwohner der Stadt, hatte die französische
     Armee einen Ausfall gewagt, der allerdings an der Gegenwehr der Belagerer gescheitert war. Zur Vergeltung hatten die Deutschen
     alle ihre Kanonen auf einen Punkt der Stadt gerichtet und geschossen, was das Zeug hielt: Der Stadtteil Saint-Denis war daraufhin
     weitgehend abgebrannt, fast zehntausend Menschen hatten den Tod gefunden, die Löscharbeiten hatten Tage gedauert. Nach dieser
     entsetzlichen Niederlage hatte sich Jules Favre, Vizepräsident und Außenminister, an die Spitze einer Delegation gesetzt,
     die mit den Deutschen die Bedingungen der Kapitulation aushandelte.
    Nun wurde in Lamartines Zeitung unter dem stummen Protest der Genauigkeit über die Siegesfeiern berichtet, die am 1.   März den Einzug der Deutschen in die Stadt begleitet hatten. Der Korrespondent schrieb, ein Husarenleutnant namens von Issendorf
     sei an der Spitze der Reiterei in die Stadt gestürmt. Ihm folgte – in einer dichten Staubwolke, die ihn fast verschwinden
     ließ – der General von Blumenthal, der sofort absaß und den Husarenleutnant in aller Öffentlichkeit zusammenstauchte, weil
     der den Einzug schon um 8   Uhr und nicht erst um 8   Uhr 30 – wie in den Kapitulationsdokumenten vereinbart – begonnen hatte.
    Lamartine schmunzelte, als er las, die deutsche Reiterei hätte dreißig Minuten in Seitenstraßen warten müssen, bis es halb
     neun schlug. Erst dann sei sie unter den Klängen des »Pariser Einzugsmarsches« von 1814 in die Stadt eingezogen – mit aufgepflanzten
     Bajonetten und wehenden Fahnen.
    Lamartine dachte an ein Spottgedicht, das ein Pariser Chansondichter zu der Zeit, als die Deutschen den Kaiser Napoleon III.
     noch nicht bei Sedan geschlagen hatten, geschrieben und unters Volk gebracht hatte. Der Refrain lautete: »So laßtsie denn bloß siegen, die wilden

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