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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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daß er es merkte, man hat es ihm beigebracht – auch
     noch, als er schon nicht mehr lebte. Wir haben in der Leber und den Nieren Thalliumsulfat gefunden. Man benutzt es bei der
     Herstellung lichtbrechender Gläser – und als Rattengift. Es hat weder Geruch noch Geschmack. Eine Dosis von 11   Tausendstel Gramm pro Kilogramm Körpergewicht kann schon töten. Der Tote hat fast hundert Gramm Thalliumsulfat im Körper.
     Die Menge hätte rein rechnerisch für 120   Männer seines Gewichtes genügt. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen!«
    Er ging zu einem Tisch, auf dem Instrumente lagen, nahm ein frisches Laken vom Stapel und entfaltete es geübt wie eine Hausfrau.
     Dann ging er zu der Leiche und wollte das Tuch über sie decken, da sagte Danquart: »Moment!«
    Granche hielt das Laken auf Brusthöhe vor sich. Danquart trat näher und blickte auf die Leiche. Der Gerichtsmediziner hatte
     den Rumpf mit einem groben, schwarzen Faden zugenäht. Der Tote wirkte jetzt zufrieden und entspannt – so als hätte man ihn
     von einer schweren Last befreit.
    »Danke!« sagte Danquart und trat einen Schritt zurück.
    Granche machte ein gekränktes Gesicht. Er war nicht daran gewöhnt, daß Polizisten ihm in diesem Ton Anweisungen gaben. Lamartine
     würde mit Danquart reden müssen. Granche warf das Laken über die Leiche, der Gehilfe, der leise herangetreten war, bekreuzigte
     sich. Dann nickte Granche Lamartine zu und ging hinaus. Der Gehilfe löste die Bremse der Bahre und schob die Leiche in einen
     dunklen Nebenraum.
    Danquart stand immer noch so da wie vorher, er wirkte abwesend. »Gehen wir!« befahl Lamartine – er fürchtete plötzlich, dem
     jungen Kollegen von der Politischen Polizei zu viele Freiheiten zu lassen. Überhaupt war er zu nachgiebig.
    Als sie die schwere Tür, die die Gerichtsmedizin von den übrigen Abteilungen der Polizei trennte, hinter sich schlossen, wandte
     sich Lamartine an Danquart. »Dr. Granche ist der besteMediziner hier im Haus, wir haben kein Recht, ihm Anweisungen zu geben   ...«
    Danquart fiel seinem Chef so ungehalten ins Wort, als habe der ihn bei einem wichtigen Gedanken gestört: »Ich weiß, wer der
     Tote ist!«
     
    Auf dem Weg zum Magistrat der Stadt Paris erläuterte Lamartine in einem durch das schnelle Fortkommen der Ermittlungen hervorgerufenen
     Anfall von Gesprächigkeit Danquart die Vorzüge einiger Neuheiten, die durch die Besatzer nach Paris gekommen waren. Die Deutschen
     hatten – wie Lamartine durch die fleißige Lektüre seiner Zeitung wußte – schon während der Belagerung in Versailles, wo es
     ihnen die Bevölkerung durch ihre legitimistische Haltung gegenüber der alten Regierung besonders einfach machte und zu ihren
     Ehren sogar im Schloßpark die »Großen Wasser« springen ließ, vorgeführt, was sie den Besiegten an Verwaltungskönnen voraus
     hatten. So hatte der von den Siegern eingesetzte Präfekt – wieder der schon in Reims durch seine Schneidigkeit hervorgetretene
     Stieber – ein Register des gesamten Personenstandes der Stadt anlegen lassen. Man war darüber in den neuerdings deutschfreundlichen,
     aristokratischen Kreisen der Stadt einigermaßen erstaunt, denn eine derart penible Erfassung der Bevölkerung hatte es selbst
     in den Tagen des Direktoriums nicht gegeben. Erst recht rebellierten die sonst zu jedem preußenfreundlichen Trinkspruch bereiten
     adligen Damen, als ungalante Helfer des Präfekten schon morgens um halb zehn in ihre Gemächer eindrangen und ihnen ihr Geburtsdatum
     auf Tag, Monat und Jahr genau abverlangten.
    Man war sich in der Hautevolee von Versailles einig: Wenn die Preußen ihr sogenanntes »Einwohnermeldeamt« – ein weiteres deutsches
     Wort in der durch die Invasion arg strapazierten französischen Sprache – unbedingt einrichten mußten, so sollten sie das mit
     den Bauern und Handwerkern und deren Gattinnen tun, aber um Gottes willen nicht mit der Aristokratie,die von jeher sehr empfindlich auf Verletzungen ihrer Privatsphäre reagierte.
    An dieser Stelle seiner Erzählung sah Lamartine seinen Kollegen zum ersten Mal schmunzeln. Danquart schien langsam aufzutauen.
     Vielleicht, so überlegte Lamartine, lag es auch an ihm, daß der Neue sich hinter die Akten zurückgezogen hatte, vielleicht
     hatte er ihm das Gefühl gegeben, bei der Mordkommission nicht gebraucht zu werden.
    Lamartine versuchte nachzuholen, was er versäumt hatte. Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Er überschüttete Danquart mit
     dem, was er

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