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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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gewissen Schneider, einem mürrischen Lothringer, vor, der prüfte, ob die Anliegen
     der französischen Stellen an das eben erst eröffnete zentrale Einwohnermeldeamt den Deutschen genehm und von der noch unvollständig
     sortierten Behörde zu bewältigen waren. Lamartine zeigte ihm das amtliche Protokoll des Falles und den Totenschein, dann schrieb
     er den Namen des Toten, der ihm von Danquart genannt worden war, auf ein Stück Papier. Schneider verschwand damit hinter einem
     Regal.
    Die beiden hörten, daß er sich mit jemandem auf deutsch unterhielt. Dann erschien Schneider wieder und wies sie unfreundlich
     an, in der Ecke Platz zu nehmen. Sie taten es, und er verschwand hinter einer Tür.
    Lamartine fühlte sich unwohl. Er war es nicht gewöhnt, von anderen Behörden wie ein Bittsteller behandelt zu werden, und er
     hoffte, daß Danquart nicht merkte, wie es in ihm rumorte.
    »Woher kennen Sie den Toten?« fragte er halblaut.
    Danquart überlegte lange. »Ich bin ihm während der Zeit der Belagerung begegnet«, antwortete er schließlich.
    »Wo?« fragte Lamartine.
    »Bei Versailles.«
    »Wie kamen Sie nach Versailles, wo die Stadt doch eingeschlossen war?«
    »Sie wissen doch, daß es geheime Ausgänge gab, unterirdische Gänge und Schlupflöcher in der Stadtmauer.«
    »Ja, das weiß ich«, antwortete Lamartine. »Aber die Deutschen wußten von den meisten Ausgängen und beobachteten sie. Sogar
     die, die durch die Katakomben führten, wurden von deutschen Spähern ausgekundschaftet.«
    Danquart schien die Angelegenheit als persönliche Herausforderung zu betrachten, er winkte ab. »Kann sein, daß sie Posten
     da hatten, aber wir haben dennoch Nacht für Nacht bis zu 300   Trainvoitures unterirdisch in die Stadt gebracht – die Räder mit Lappen umwickelt. Das war eine generalstabsmäßige Arbeit:
     Wir erkundeten jede Bewegung der Deutschen im Vorfeld. Tagsüber versteckten wir ganze Märkte in Schluchten und Scheunen. Nachts
     füllten wir damit den Bauch von Paris.«
    Lamartine wollte eigentlich sagen: »Dennoch haben wir gehungert wie im Mittelalter.« Aber er fragte dann mit kalter Stimme:
     »Wer ist wir?«
    »Die Partisanen«, antwortete Danquart schnell. »Wir gingen ein und aus, wie es uns paßte. Wir schickten Brieftauben   ...«
    »Die die Deutschen mit Jagdfalken bekämpften.«
    »Wir hatten auch Ballons zur Verfügung   ...«
    »...   bis Krupp aus Essen ein Spezial-Ballon-Abwehrgeschütz nach Paris schaffen ließ.«
    »Sind Sie ein Freund der Deutschen, Monsieur Lamartine?« fragte Danquart unvermittelt.
    »Nein. Aber ich gehörte zu den zwei Millionen Einwohnern, die nachts nicht nach draußen konnten. Wir bekamen pro Person 300   Gramm Brot am Tag, Kindern standen nur 150   Grammzu. Wer ein wenig Geld hatte, konnte Rattenfleisch essen. Wir saßen in der Stadt fest und waren schutzlos den Vierundzwanzigpfündern
     ausgesetzt, die die Preußen auf unsere Häuser abfeuerten – weil ihnen die Partisanen zu lange auf der Nase herumtanzten!«
    »Monsieur«, begann Danquart nach einer langen Pause. »Sie begehen einen Fehler. Nicht Ihre Landsleute, die sich im Untergrund
     gegen die Eindringlinge wehrten, sondern die deutschen Barbaren haben unser Land zugrunde gerichtet. Die Preußen schossen
     nicht mit Kanonen auf eine wehrlose Stadt, weil wir die Einwohner nachts mit Essen versorgten. Sie schossen, weil sie die
     Hauptstadt unseres Landes demütigen wollten   ...«
    Lamartine spürte, daß Danquart recht hatte, deshalb schwieg er – zumal ein Gehilfe des Lothringers auf sie aufmerksam geworden
     war und sich bei seiner Tätigkeit an den weitläufigen Regalen, offensichtlich um ihr Gespräch besser verfolgen zu können,
     immer näher an sie heranarbeitete.
    »Der Tote war also ein Partisan wie Sie?« flüsterte Lamartine.
    »Ja, er war Anführer einer kleinen Einheit. Sie hielten im Wald vor Versailles ein Haus. Von dessen Giebel aus schickten sie
     mit einer hölzernen Klappenvorrichtung Signale über eine Kette anderer Posten nach Paris. Das Haus wurde irgendwann von deutschen
     Spionen in Brand gesteckt.«
    »Wissen Sie auch, was er nach der Kapitulation der Stadt unternommen hat?«
    »Die meisten meiner Kameraden sind wie ich nach Paris zurückgekehrt und haben ihre Arbeit wieder aufgenommen – soweit das
     möglich war.«
    »Gibt es noch aktive Partisaneneinheiten in der Stadt?«
    »Ich glaube nicht. Die Deutschen sind überall präsent, und sie begehen nicht den Fehler, die

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