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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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dem Land lebt es sich derzeit ein wenig besser als in Paris. Aber den Luxus, den Sie
     hier haben, hat in unserer Heimat niemand. Die Deutschen lassen uns ausbluten, wir müssen den Krieg auf den Franc genau bezahlen.
     Und was mit dem Geld geschieht, das wir uns und unseren Kindern vom Mund absparen, sieht man ja in Berlin   ...«
    Lamartine mußte lächeln. »Haben Sie bei der Witwe schon etwas gegessen?«
    Lecoq schüttelte den Kopf.
    »Dann warten Sie’s ab, bevor Sie voreilig urteilen!« riet ihm Lamartine. »Was wollen Sie von mir?«
    »Wie gesagt: Die Lage zu Hause hat sich verändert. Es ist sogar wieder etwas Ruhe eingekehrt – vor allem nachdem man diese
     Kommune niedergemacht hat. Allerdings sind die Menschen unzufrieden. Sie leiden unter den Entbehrungen. Die Reparationen ersticken
     einen Neuanfang, Lamartine. Die Franzosen nehmen es ihrer Regierung übel, sie in diese Lage gebracht zu haben: Sie nehmen
     es der Regierung übel, daß sie den Krieg verloren hat. Sie nehmen es ihr übel, daß sie unter der Kuratel der Deutschen steht.
     Am meisten aber nehmen sie der Regierung übel, daß sie mit Hilfe der Deutschen die Kommune zusammenkartätscht hat. Keiner
     hat die Kommunarden haben wollen – die Franzosen sind für so was nicht geschaffen. Sie gehen gerne ihre eigenen Wege, und
     sie lassen sichnicht in die Masse pressen. Aber ein Franzose vergißt es nicht, wenn Deutsche auf seine Landsleute schießen   ...«
    »Was hat das mit mir zu tun?«
    »Sehr viel. Die Regierung Thiers ist der Meinung, daß es höchste Zeit ist, das Vertrauen der Leute zurückzugewinnen!« Lecoq
     legte eine bedeutungsvolle Pause ein, so als wollte er Lamartine Zeit geben, die Neuigkeiten auf sich wirken zu lassen. Aber
     der schüttelte nur verständnislos den Kopf. »Die Regierung – unsere Regierung – findet, daß es Zeit ist, mit der Vergangenheit
     abzuschließen. Wir brauchen unsere Kräfte für die neue Zeit, wir wollen nicht hinter Deutschland herhinken.«
    Jetzt verstand Lamartine. »Man will ein Exempel statuieren!«
    »Genau! Und zwar so schnell wie möglich.«
    »Warum gerade ich?« fragte Lamartine leise.
    »Wir sollten ehrlich zueinander sein: Sie sind der Kollaborateur par excellence!«
    »Thiers sollte sich selbst vor Gericht stellen!«
    »Nun werden Sie nicht kindisch, Lamartine! Ich biete Ihnen eine einmalige Gelegenheit, sich bei Ihrem Land für das, was Sie
     getan haben, zu entschuldigen! Es wird ein fairer, was sage ich: ein glanzvoller Prozeß werden.«
    »...   der mit meiner Verurteilung endet!«
    »Natürlich, was dachten Sie? Aber wir sind keine Deutschen. Wir sind – zumindest bei politischen Verbrechen – nicht so schnell
     mit der Todesstrafe bei der Hand. Ich kann Ihnen versichern, daß Sie verbannt werden und sonst nichts! Wissen Sie, wie viele
     Barrikadenkämpfer gerade nach Übersee verschifft werden – und sie hätten alle den Tod verdient   ...«
    »Warum sollte ich darauf eingehen? In Berlin bin ich sicher! Sie haben hier keinerlei Machtbefugnisse, Lecoq.«
    »Sie stehen kurz vor Ihrer Ausweisung.«
    »Meinen Sie nicht, daß das meinen Landsleuten zu denken geben wird: Ein Kollaborateur, der von den Deutschen nach Hause geschickt
     wird?«
    »Sagen wir es so: Sie ersparen mir die Schmach, bei deutschen Behörden um einen Landsmann bitten zu müssen. Sie kommen freiwillig
     nach Hause. Und ich werde dafür sorgen, daß sich unser Staat um Ihre Gattin, um Ihre Schwiegereltern und um Ihr Kind kümmert!
     Das ist doch ein Angebot, oder? Ich bin gekommen, um Sie zu überzeugen – nicht um Sie mit Gewalt heimzuholen.«
    Lecoq ließ ihm Zeit für eine Entgegnung, aber Lamartine schwieg.
    »Natürlich werden Ihre Angehörigen nicht im Luxus leben«, fuhr Lecoq fort. »Aber das haben sie ja vorher auch nicht. Sie werden
     auch nicht hungern müssen. Wir werden ihnen ein Häuschen irgendwo im Westen beschaffen – vielleicht in der Vendée, da sind
     die Menschen am wenigsten vorwitzig. Dort sollen sie unerkannt und still leben. Vielleicht wird Ihr Sohn – sicher bekommen
     Sie einen Sohn – in der Hauptstadt des Departements zur Schule gehen, und wenn genügend Gras über die Sache gewachsen ist,
     holen wir ihn nach Paris. Soll er doch ruhig die Höhere Polizeischule besuchen – falls er das kriminalistische Talent seines
     Vaters geerbt hat. Und irgendwann, wenn in Frankreich sich kein Mensch mehr an die Affäre um den Kollaborateur Lamartine erinnern
     kann, werden wir Sie mit

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