Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
Vom Netzwerk:
zu und vergrub die Hände tief in die Jackentaschen. Zwei sich halblaut streitende Dozenten, die mit ihren Spitzbärten
     und in den Fräcken wie Zwillinge aussahen, kamen ihm entgegen. Lamartine ging schnell an ihnen vorbei, aber sie schienen ihn
     gar nicht zu beachten.
    Die mit einem Vorhang verhangene Glastür der Pedellwohnung war unverschlossen. Lamartine klopfte gegen die Scheibe. Niemand
     antwortete.
    Im Dienstraum des Pedells, einer Loge, in der allerlei Putzzeug und ein Schrank mit wenigen Aktenordnern untergebracht waren,
     bollerte ein Kanonenofen. Die Wohnung war so überheizt, daß es Lamartine übel wurde. Er blieb einen Moment in der Mitte der
     Loge stehen. Lamartine riß sich zusammen. Er trat zu der Tür, die zum hinteren Teil der Wohnung führte. Er klopfte an. Wieder
     geschah nichts. Lamartine drückte die Klinke herunter, die Tür war ebenfalls unverschlossen. Er trat ein.
    Der Schwede lag mit eingeschlagenem Schädel auf dem Boden. Bjerregaards Augen waren weit aufgerissen, Lamartine sah darin
     den Schrecken des nahen Todes: Bjerregaard mußte seinem Mörder in die Augen geschaut, er mußte den tödlichen Schlag gesehen
     haben.
    Lamartine war an Leichen gewöhnt. Ohne zu überlegen, tat er das, was er immer tat, wenn er mit der Untersuchung einesGewaltverbrechens begann. Er schloß die Tür hinter sich ab, dann zog er seine Schuhe aus, um weder Spuren zu hinterlassen
     noch welche zu verwischen. Auf Zehenspitzen legte er die wenigen Meter zu der Leiche zurück, ging in die Knie – und als ob
     er in Paris seiner alltäglichen Arbeit nachging, tat ihm sogleich der Rücken weh.
    Lamartine schob ein Augenlid Bjerregaards hoch, um zu sehen, wie lange der Mann schon tot war. Der Mord mußte erst ein oder
     zwei Stunden vorher geschehen sein; Bjerregaards Augapfel war noch wässrig. Dann faßte der Inspektor mit den Fingerspitzen
     der rechten Hand den Schädel des Pedells von oben an und drehte ihn leicht. Noch war keine Leichenstarre eingetreten. Für
     einen Augenblick war Lamartine versucht aufzuspringen, rauszurennen und seine Mitarbeiter zu beauftragen, die Umgebung des
     Tatortes nach dem Mörder abzusuchen, wie er es im Falle eines gerade erst ums Leben gekommenen Mordopfers zu tun pflegte   ...
    Trotz des Schmerzes, der sich in die Beine fortsetzte und an den Außenseiten der Oberschenkel nach unten kroch, verharrte
     Lamartine in seiner unbequemen Position und sah sich die Kopfwunde Bjerregaards näher an. Der Polizist hatte schon viele tödliche
     Verletzungen gesehen, die meisten davon waren Kopfwunden gewesen. Ein tödlicher Schlag wurde fast immer zum Kopf geführt –
     und da es sich bei seinen Pariser Fällen überwiegend um Totschlagsdelikte, also um im Affekt begangene Taten handelte, hatten
     die Täter auch selten Stichwaffen dabei, die sie zur Herzgegend oder in den Unterbauch hätten führen können.
    Lamartine stellte anhand der zerfaserten Kopfschwarte fest, daß der Schädel des Pedells mit einem spitzen Gegenstand eingeschlagen
     worden war. Mehr war bei der oberflächlichen Inaugenscheinnahme des Leichnams nicht herauszufinden. Der Polizist erhob sich
     und streckte seine schmerzenden Glieder aus. Er öffnete beide Türen des Schrankes und durchsuchte ihn. Bjerregaard hatte wenig
     besessen: ein paar zerschlissene,alte Fetzen und einen nicht sehr sauberen Anzug, der nach Mottenkugeln roch.
    Eine Tatwaffe fand sich auch unter dem Bett des Pedells nicht. Während der Anwesenheit des Polizisten war die Blutlache unter
     Bjerregaards Hinterkopf nicht mehr angewachsen. Das Blut gerann auf den Holzdielen. Lamartine wußte nun, daß der Mord etwa
     zu der Zeit geschehen war, als er sich auf dem Weg zum Anhalter Bahnhof befunden hatte.
    Er setzte sich auf das Bett, das tief zusammensank.
    Lamartine vermutete, daß Stieber Bjerregaard erschlagen hatte. Wahrscheinlich befürchtete der Täter, der Pedell könnte etwas
     ausplaudern, was Lamartine auf keinen Fall erfahren durfte. So gesehen war der Mord ein sicheres Zeichen dafür, daß sich Lamartine
     bei seinen Ermittlungen einem neuralgischen Bereich der Stieberschen Welt genähert hatte. Aber was konnte das sein?
    Er sprang auf und stieg über Bjerregaard hinweg. Er mußte die Glastür der Pedellsloge verschließen, damit er sich in aller
     Ruhe die Akten ansehen konnte, die Bjerregaard in seinem Dienstraum aufbewahrte. Lamartine fand, daß es Bjerregaards Wesen
     entsprach, Papiere, die für ihn persönlich wertvoll waren,

Weitere Kostenlose Bücher