Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
mit dem Jeld kränkt mir. Ick wollte dir helfen.«
»Verzeihung!« sagte Lamartine leise.
»Also kommste?«
»Und die Mutter?«
»Noch bring icke det Jeld nach Hause«, sagte Mia hart, aber ihre Stimme zitterte leicht.
»Hast du keine Angst vor Stieber?«
»Nee! Ha’ ick nich!«
Mia stellte das leere Glas auf den Tisch und verließ das »Eichelkraut«, ohne sich umzusehen. Der dünne Mann, der neben dem
Eingang gelauert hatte, schlich ihr nach. Lamartine bestellte einen Schnaps auf ihre Rechnung.
Aus Angst, daß Mia ihn, sobald er protestierte, hinaus in die Kälte schicken könnte, zog Lamartine auf der Schwelle die Schuhe
aus. Im Flur blieb Mia plötzlich stehen und wandte sich um. Lamartine erschrak, denn er vermutete, sie hätte im Zimmer der
Witwe etwas gehört. Mia legte ihren Zeigefinger auf die Lippen. Dann streichelte sie ihm mit einer hastigen Bewegung über
die Wange und flüsterte: »Du bist doch bestimmt hungrig, wa?«
In Lamartines Magen wütete der Hunger seit Stunden – der Alkohol hatte ihn nur ein wenig gedämpft. Dennoch schüttelte Lamartine
den Kopf. Er wollte schnell in dem Verschlag verschwinden und sich die Decke über den Kopf ziehen. Aber Mia nahm ihn einfach
bei der Hand, führte ihn in die Küche, drückte leise die Küchentür zu und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Als er zögerte,
fuhr sie ihn an: »Natürlich biste hungrig!«
»Und deine Mutter – wenn sie uns hier erwischt?«
Mia nahm einen Teller aus dem Küchenschrank und eine Handvoll Brotkrumen aus einer Blechbüchse. »Die pennt wie ’n Stein!«
erklärte sie, während sie das frischeste Stück Brot heraussuchte, eine Scheibe abschnitt und sie mit einem StückHartkäse belegte, der in ein Küchentuch eingeschlagen hinter der Mehlwaage versteckt war. Lamartine biß gierig in das Käsebrot,
während Mia Brot und Käse wegräumte und dann – noch im Mantel gegen den Küchenschrank gelehnt – eine selbstgedrehte Zigarette
rauchte.
»Schmeckt’s dir?« fragte sie.
Lamartine nickte mit vollem Mund. Sie lächelte zufrieden.
»Morgen mach’ ick dir wat Warmet, mit ’nem schönen Fetzen Schweinebauch!«
»Morgen?« fragte Lamartine.
»Magst du keenen Schweinebauch? Ick kenn keenen, der keenen Schweinebauch mag.«
»Schweinebauch?«
»Wat weeß ick, wie ihr Franzosen es nennt ...«
»Und was ist mit deiner Mutter?«
Mia nahm einen tiefen Zug aus der zerbröselnden Zigarette, spuckte die Tabakreste auf den Küchenboden und schimpfte: »Die
Olle, die kann mir mal! Solange icke det Jeld ranschaffe ... Mit den paar Groschen von de Kohlenhandel würden wir doch verhungern! Geh ick oof ’n Strich oder sie, wa!«
Lamartine aß schweigend das Käsebrot auf. Als er fertig war, beugte Mia sich herab und küßte ihn auf den Mund.
»Warum tust du das für mich?« fragte er.
»Warum wohl? Weil de meen Kerl bist!«
»Ich bin verheiratet, Mia.«
»So! Und wo haste dann bitteschön deine Frau?«
»Sie ist auf dem Land. Mit ihren Eltern.«
»Und du bist bei mir!« Damit war das Gespräch für sie beendet. Sie räumte den Teller weg und nahm Lamartine bei der Hand.
In ihrem Zimmer suchte Mia im Dunkeln ein Streichholz und zündete einen Kerzenstumpf an. »So!« sagte Sie, blies das Streichholz
aus, lächelte Lamartine an und zog ihm die Jacke aus. Er vermied es, ihr in die Augen zu schauen, während sieden Gürtel seiner Hose öffnete und ihm das Hemd übern Kopf zog. Er mußte wieder an den dünnen Mann denken, mit dem sie das
»Eichelkraut« verlassen hatte.
»Was meinst du mit ›auflaufen lassen‹?« fragte er unvermittelt.
Sie ließ von ihm ab und zog ihren Mantel aus. »Wann?«
»Im ›Eichelkraut‹. Du hast gesagt, du würdest den Mann auflaufen lassen. Ich kenne die Bedeutung des Wortes nicht.«
»Ich kann es dir nicht übersetzen!« beschied sie ihm, während sie die Schnürstiefel aufschnürte, sie auszog und unter das
Bett schob.
»Ich will wissen, was du damit meinst!« beharrte Lamartine.
Mia richtete sich auf und schaute ihn erstaunt an. »Een bißjen Eifersucht schmeichelt mir ja. Aber nich, daß de gloobst, du
mußt es übertreiben. Damit wir uns verstehen: Een eifersüchtiger Macker ist ’ne lächerliche Fijur.«
Lamartine klang das Wort in den Ohren wie ein Schuß. Macker. Er wußte sofort, was es bedeutete:
le maquereau
, der Zuhälter. »Ich bin nicht dein Macker!« fuhr er sie an.
Sie machte »Psst!« und zeigte zur Tür. Lamartine
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