Stiefbruder - Liebe meines Lebens
dafür war, dass er sich rarmachte. Aber ich fand den Mut dazu nicht. Unzählige Male hatte ich diese Frage auch ins Telefon getippt, um sie ihm als Nachricht zukommen zu lassen, sie aber dann doch nie abgesendet und wieder gelöscht.
Eines Nachts, Monate später, bekam ich von Jakob eine SMS:
>Ich liebe dich.
Der Piepton des Handys weckte mich an diesem Sonntag um halb vier Uhr morgens. Schlaftrunken fischte ich nach dem Handy, blinzelte auf die Nachricht und war sofort hellwach. Mehrmals überprüfte ich, ob die SMS auch
wirklich
vom Telefon meines Bruders gesendet worden war, ob ich mich vielleicht nur verlesen hatte. Doch es stand tatsächlich da, schwarz auf grün. Das war alles, wonach ich mich so sehr gesehnt hatte, hielt es für das lang ersehnte Liebesgeständnis. An Schlaf war nicht mehr zu denken, mit Herzrasen und zittrigen Fingern lief ich in meinem Zimmer auf und ab und tippte die Worte:
>Ich dich auch.
Danach wartete ich nervös – tausend Schmetterlinge flatterten wild im Bauch herum – auf weitere Nachrichten oder einen Anruf, konnte nicht liegen, nicht stehen, nicht sitzen, nicht gehen, wechselte ständig zwischen diesen Haltungen. Doch es kam nichts mehr. Als ich seine Nummer wählte, pisste ich vor Aufregung fast in die Hosen, aber er ging nicht ran.
Die Stunden vergingen und ich machte mir Sorgen, vermutete, dass sich irgendwelche turbulenten Dinge ereignet hatten die verhinderten, dass er sich meldete. Natürlich hätte ich auch ahnen müssen, dass die Sache nicht ganz so romantisch war, wie ich mir erhofft hatte, aber daran wollte ich nicht denken.
Stunden später, am frühen Nachmittag, folgte endlich eine weitere SMS von Jakob. Auf die hätte ich für mein Leben gern verzichtet:
>Sorry, falsche Nummer.
Die Nachricht traf mich so heftig, als hätte ich einen Bauchschuss erlitten. Und fast genau diese Körperhaltung nahm ich ein, als ich vom Stuhl kippte und mich auf dem Boden zusammen krümmte. Nicht nur, dass er mich nicht liebte – er hatte das offenbar jemand anderem gestehen wollen.
Er liebte wen
anderen?
Obwohl er
wusste
, wie ich für ihn fühlte, wagte er es, sich in
jemanden
außer mich zu verlieben? Das war Verrat! Natürlich war meine Reaktion idiotisch, ich hatte kein Recht ihm vorzuschreiben, wen er mochte – oder zu fordern, dass er schwul wurde. Trotzdem dachte ich zynisch darüber nach mich umzubringen, oder Jakob umzubringen, oder gar, uns beide zusammen umzubringen, wie man das aus Filmen und den Nachrichten kannte.
Auf der Party durfte ich nun endlich erfahren, wer diese andere Person ist, für die diese SMS bestimmt gewesen war. Ihr Name war Silke, sie war groß, blond, schlank – ein Paradepüppchen, auf das alle Heteros scharf waren. Tatsächlich war mir, als mein Bruder sie mir vorstellte, ein
„Wie
unoriginell!“,
herausgerutscht. Jakobs Blick hatte sich verfinstert und ich schleunigst das Weite gesucht.
Zugegeben,
egal
wen er mir vorgestellt hätte, ich hätte an
jedem
etwas auszusetzen gehabt. Zu auffällig, zu gewöhnlich, zu billig, zu eingebildet, zu ordinär, zu überspannt, zu hell, zu dunkel, zu dick, zu dünn und überhaupt – eine
Frau
. Aber wäre es wirklich besser gewesen, Jakob hätte mir statt Silke einen Kerl vorgestellt? An ihm hätte ich wohl noch mehr auszusetzen gehabt, hätte nicht verstanden, warum
er
, und nicht
ich
. Andererseits hätte ich mir vielleicht Hoffnungen machen können.
Warum war ich überhaupt zu dieser Party gekommen? Okay, weil ich
sofort
sprang, wenn Jakob rief, weil ich jede Gelegenheit nutzte, ihm nah zu sein! Auch, wenn mir klar wurde, dass zwischen uns nie etwas laufen könnte, würde ich auch in Zukunft jeden noch so weiten Weg auf mich nehmen, nur um ihn zu sehen.
Er sah bei jeder Begegnung noch besser aus. Mittlerweile war er achtzehn und schon ein richtiger Mann – zumindest für meine Verhältnisse. Im vergangenen Jahr hatte er seine glänzend schwarzen Haare wieder wachsen lassen. Er wirkte verwegen – wie ein Rockstar – vor allem, da ein Dreitagebart sein Kinn herb und wild erscheinen ließ. Den Körper betonte er durch sexy Kleidung – Jeans, die die Beine und den knackigen Hintern zu Geltung brachten und ein sehr knapp sitzendes Shirt, durch das sich seine Nippel abzeichneten.
Während Silke der Traum aller Männer war, stellte Jakob den dazu passenden Frauenschwarm dar. Da hatten sich die zwei schönsten Menschen unter der Sonne gefunden, und spuckten durch ihre Perfektion dem Rest der
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