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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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alles. Er fühlte die bodenlose Tiefe des dunklen Abgrundes unter sich, die finstere Leere, die ihn von der Welt dort draußen abkapselte, vor der er plötzlich entsetzliche Angst hatte. Er wollte nichts mehr von ihren Schrecken wissen, entzog sich ihr auf die einzige Weise, die ihm noch möglich war.
    Er kappte alle Seile und ließ sich fallen …
    Ein markerschütterndes Donnern holte Tom aus der Vergangenheit zurück. Der Kellerraum, in dem er sich plötzlich wiederfand, war jetzt vollkommen leer. Keine Kühltruhe mehr. Kein Trophäenschrank. Keine Werkzeuge.
    Keine Erinnerung.
    Bruchstücke der Werkbank ragten noch aus dem Trümmerberg hervor, unter dem sie begraben war. Dort, wo sie einmal gestanden hatte, waren zentnerschwere Stücke der Decke niedergegangen. Dichter Staub füllte die Leere des Raumes aus, lichtete sich langsam und hinterließ eine mehlige Schicht, die sich wie staubiger Tau auf dem Boden niederschlug. Noch mehr Trümmerbrocken regneten wie kleine Meteoriten durch das Loch in den Keller. Das Fauchen des Sturmes wurde lauter, klang jetzt wie der unheilvolle Gesang einer Sirene. Die Risse in den Wänden wurden größer. Ein furchteinflößendes Ächzen war zu vernehmen, dann fiel die Wand gegenüber in sich zusammen. Und plötzlich hatte Tom ein flaues Gefühl im Magen, als befände er sich in einem fahrenden Aufzug. Entsetzt stellte er fest, dass sich der Boden hob und das Fundament in der Mitte auseinanderbrach. Über sich hörte er die Mauern zusammenbrechen. Alles bebte, war im Begriff, zu Staub zu zerfallen.
    Sich aufzulösen.
    Die Decke über ihm bekam immer tiefere Risse, die wie zackige Narben aus ihr herausplatzten. Winzige Splitter trafen Tom wie Geschosse am Arm, während der Boden sich weiter emporwölbte und ihn nach rechts gegen die Wand schleuderte, an der Karin und Mark gesessen hatten. Auch sie waren verschwunden, ausradiert, genau wie die anderen. Nur Fanta war noch da. Tom entdeckte ihn inmitten des Chaos. Er stand aufrecht an der Stelle, an der der Boden aufgebrochen war, als wäre er aus dessen Spalten wiedergeboren worden. Mit seinem typischen verschmitzten Grinsen sah er Tom an und zwinkerte ihm zu, während sich über ihm die Risse bedrohlich ausbreiteten.
    »Zeit des Erwachens, mein Freund!«
    Dann gab die Decke mit einem lauten Krachen nach und begrub alles in Dunkelheit …
    Nur ein winziger Punkt in allertiefster Finsternis raste auf Tom zu. Der Punkt schwoll an, wurde zu einem Licht. Das Licht zu einem Tunnel. Der Tunnel zu einem … Ausgang!
    Wieder hörte er die Stimmen. Doch diesmal waren es nicht nur Impulse, die durch sein Hirn geisterten wie ferne Lichter. Sie waren so klar und rein wie geschliffenes Glas, und sie klangen erregt.
    »Er kommt zu sich.« Diesmal war die Stimme männlich und dominant. »Sind seine Angehörigen schon verständigt?«
    »Jemand von ihnen war hier, als es anfing«, erwiderte eine der Frauenstimmen, die Tom schon früher gehört hatte. »Sie wartet draußen im Flur.«
    »Lassen Sie sie holen. Ich denke, es ist wichtig, dass jemand hier ist, den er kennt.«
    Neben den Stimmen konnte Tom das Piepen einer Maschine hören. Ein gleichbleibender Ton, der sich im Takt seines Herzens wiederholte. Gleichzeitig kam der Ausgang immer näher, das Licht wurde greller. Er konnte bereits unscharfe Formen erkennen wie auf einer stark verwackelten Fotografie. Eine verschwommene Silhouette tauchte vor seinen Augen auf. Schemenhafte Bewegungen. Wie durch das Objektiv einer Kamera, das sich langsam scharf stellt, erkannte Tom immer klarere Konturen, bis sich schließlich das Gesicht eines Mannes über ihm verfestigte. Sein Haar war glatt und kurz und lief über der Stirn spitz zu. Er hatte wache, dunkle Augen, die ihn hinter einer Brille forschend studierten, als warteten sie auf eine Reaktion.
    »Können Sie mich hören?«, fragte der Mann mit befehlsgewohnter Stimme.
    Tom wollte etwas sagen, doch seine Stimmbänder fühlten sich an, als lägen sie unter Tonnen von Staub begraben.
    Der Mann schwenkte einen kurzen Stab vor seinen Augen. Lichtblitze zuckten auf, brannten wie Säure auf seiner Netzhaut.
    »Pupillenreaktion normal«, hörte Tom ihn sagen. Dann sah er, wie der Mann zwei Finger hin und her schwenkte. Automatisch folgte Tom ihren Bewegungen. »Sehkraft intakt.«
    Tom spürte, wie er sich verkrampfte, als etwas abwechselnd über seine Unterarme und Fußsohlen strich.
    »Reflexe vorhanden.« Der Mann sah auf ihn herab. »Nicken Sie, wenn Sie

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