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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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hätte.«
    »Na schön«, gab sich Tom geschlagen. »Du hast nicht zufällig einen Kugelschreiber dabei, oder?«
    Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, da musst du dir schon draußen einen besorgen.«
    »Tja.« Tom lächelte erschöpft. »Das hab ich mir gedacht. Und was soll ich deiner Meinung nach den Leuten erzählen, was vorhin mit mir los war? Ich weiß ja selbst nicht mal genau, vor was ich weggerannt bin.«
    »Angeblich sind dir die Leute doch egal. Wozu also die Aufregung?«
    »Tja, unter den gegebenen Umständen wäre diese Aussage wohl nicht ganz passend.«
    »Dann sag doch einfach, du musstest dringend aufs Klo.«
    »Ja«, lachte Tom, »das wäre nicht mal gelogen.« Er atmete tief durch. Allein die Vorstellung, wieder durch diese Tür nach draußen zu gehen und sich den Fragen der Menschen zu stellen, ließ die Nervosität schlagartig zurückkehren und mit ihr die Angst. »Ich weiß nicht«, sagte er und fuhr sich nervös durch die Haare. »Ich … ich bin nicht ganz so zuversichtlich, dass ich das auch wirklich schaffe.«
    »Du kannst dich nicht ewig hier verstecken.«
    »Ich brauche meine Medikamente.«
    »Ich denke, davon hattest du heute schon mehr als genug.« Fanta trat auf Tom zu und rückte ihm die Krawatte zurecht. Anschließend legte er ihm die Hände auf die Schultern, eine Geste, deren Nähe und Intimität Tom normalerweise in Schrecken versetzt hätte. Doch er empfand diese Berührung als alltäglich, beinahe als vertraut. »Lass nicht länger zu, dass diese Ängste die Kontrolle über dein Leben gewinnen«, sagte Fanta. »Wenn du schon anderen nicht traust, dann hab wenigstens Vertrauen zu dir selbst, okay?« Er gab ihm einen leichten Klaps auf die Wange. Dann ging er zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. »Bist du so weit?«
    Tom nickte zögernd. Doch die kleinen Schweißperlen, die sich an seinem Haaransatz gebildet hatten, zeigten, dass dem ganz und gar nicht so war. »Warte noch«, hielt er Fanta zurück und bückte sich nach der Visitenkarte, die neben ihm auf dem Boden lag. Sie musste ihm aus der Hand geglitten sein, als Fanta auf ihn losgegangen war. »Die steck ich lieber ein, falls ich mal wieder auf einer Toilette festhängen sollte«, meinte er.
    »Jederzeit«, sagte Fanta. »Ich stehe auch an Sonn- und Feiertagen zur Verfügung. Anruf genügt.«
    Tom war zu nervös, um über diesen Scherz zu lachen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und fingerte unruhig an seinem Krawattenknoten herum. »Kommst du mit da raus?«, fragte er, und es klang beinahe flehend.
    Fanta schüttelte mit gespieltem Ernst den Kopf. »Nein, Mann. Mir gefällt es echt gut hier, weißt du. Ich spiele aufrichtig mit dem Gedanken, mit meiner Schrankwand hier einzuziehen.«
    »Hey, du weißt schon, was ich meine.«
    »Keine Sorge, Alter. Ich bin direkt hinter dir, und ich weiche keinen Schritt von deiner Seite, bis ich eine verdammte Widmung von dir in diesem Buch habe, verstanden?«
    »Ich denke, die hast du dir verdient.« Tom zwang sich zu einem Lächeln. »Danke.«
    »Keine Ursache«, erwiderte Fanta und setzte sein typisches Grinsen auf. »Dafür sind Freunde doch da.«
    Dann öffnete er die Tür.
    Tom saß in seinem Arbeitszimmer vor der offenen Schublade seines Schreibtisches und betrachtete amüsiert die Visitenkarte in seiner Hand. Sie war mittlerweile etwas vergilbt und an den Rändern geknickt, doch ihre Botschaft brachte ihn noch immer zum Lächeln. Die Telefonnummer darauf kannte er mittlerweile auswendig. Dennoch hatte er die Karte all die Monate aufgehoben, wahrscheinlich aus sentimentalen Gründen. Sie war für ihn zu einer Art Symbol der Hoffnung geworden, das ihm vor Augen hielt, dass es außer seiner Familie tatsächlich noch Menschen gab, zu denen er Vertrauen entwickeln konnte. Menschen, die zumindest erahnen konnten, was in ihm vorging, und ihm zur Seite standen, was auch immer sie dazu veranlasste.
    Und wie gewöhnlich bringst du es, ohne mit der Wimper zu zucken, fertig, diese Menschen von dir wegzustoßen.
    Warum waren plötzlich auch alle so versessen darauf, ihm zu helfen und sich in seine Angelegenheiten einzumischen? Seit jenem Julitag vor dreizehn Jahren schienen andere die Entscheidungen für ihn treffen zu wollen. Zu Therapiezwecken oder aus übertriebener Fürsorge. Dabei war er durchaus in der Lage, das selbst zu tun. Immer wieder stocherten sie in seiner Vergangenheit herum, ohne dabei die Gegenwart zu würdigen. Immerhin hatte er es zum Bestsellerautor

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