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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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mir ist nicht mehr viel zu holen! Und jetzt hau endlich ab, oder ich schwöre bei Gott, ich prügel dir dein dämliches Grinsen aus dem Gesicht!«
    Wutentbrannt stand er mit geballten Fäusten vor dem Mann und wünschte sich beinahe, dass dieser erneut auf ihn losgehen würde. Doch zu seiner Überraschung betrachtete sein Gegenüber ihn nur staunend, wie ein Vater seinen Sohn, nachdem er ihm das Fahrradfahren beigebracht hat.
    »Wow!«, brachte Fanta schließlich seine Bewunderung zum Ausdruck, während er voller Freude um Tom herumtänzelte. »Alle Achtung, Alter! Das war bemerkenswert überzeugend für jemanden, der gerade noch zitternd in der Ecke gekauert hat. Wenn meine Blase nicht schon leer wäre, hätte ich mir vermutlich in die Hose gepisst.«
    »Was …?«, stammelte Tom atemlos. Seine Verwirrung spiegelte sich in seinem hochroten Gesicht wider.
    »Ist schon erstaunlich, was Wut alles in einem bewirken kann, nicht wahr? Sie gibt einem Mut und Kraft. Ich meine, sieh dich doch mal an. Ziemlich beängstigend.«
    Tom stand wie paralysiert da. Er hatte reichlich Mühe, seine Entrüstung im Zaum zu halten und die neue Situation einzuschätzen. »Soll das etwa heißen …«, stammelte er ratlos. »Ich meine … Willst du damit sagen, du hast mich nur verarscht?«
    »Ich hab dir lediglich geholfen, dich aus einer peinlichen Lage zu befreien«, erwiderte Fanta trocken.
    »Ich fasse es einfach nicht«, schnaufte Tom, dessen Erregung sich nur langsam wieder legte. »Du bist ja vollkommen irre!«
    »Nenn es, wie du willst, es hat funktioniert. Deine Angst ist weg, oder etwa nicht?«
    Tom schwieg. Insgeheim jedoch musste er dem anderen recht geben. Er fühlte sich aufgeputscht wie nach einem Hundertmetersprint, aber es war ein gutes Gefühl, das sämtliche Furcht aus ihm vertrieben hatte.
    »Mag sein«, räumte er ein, »aber sie kommt wieder, sobald ich durch diese Tür trete, so viel ist sicher.«
    »Dann lass das nicht zu.«
    Tom lachte verächtlich. »Glaubst du wirklich, es wäre so einfach? Was soll ich deiner Meinung nach tun, jeden verprügeln, der mir in die Quere kommt? Ich glaube kaum, dass es eine sinnvolle Lösung wäre, Angst durch Hass zu ersetzen.«
    »Sicher nicht«, stimmte Fanta ihm zu. »Aber Angst ist auch immer ein Produkt der Unsicherheit. Stärke dein Selbstvertrauen, und du schwächst damit die Angst.«
    »Und woher hast du diese Weisheit, aus einem Glückskeks?«
    »Wie gesagt, ich habe auch so meine Erfahrungen.«
    Tom sah abschätzend an ihm herab. »Wie alt bist du? Neunzehn? Zwanzig? Was hat man dir angetan, dir dein Pausenbrot geklaut?«
    »Spielt das eine Rolle? Die Gründe sind vielleicht verschieden, aber der Ausweg ist derselbe!«
    »Und du hast diesen Ausweg gefunden?«
    »Na ja, sagen wir, ich arbeite daran.«
    »Deiner großen Klappe nach zu urteilen, scheinst du jedenfalls Erfolg damit zu haben.« Tom schüttelte den Kopf und trat einige Schritte zurück. Allmählich entspannte sich sein Körper. »Jemand wie du ist mir noch nie begegnet«, stellte er fest und lehnte sich erschöpft gegen die Wand. »Ich meine, was kümmert es dich überhaupt, was mit mir los ist? Hältst du dich für so eine Art Messias der Angstneurotiker?«
    »Nein. Alles, was ich bin, steht auf der Karte.«
    Tom konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Und davon kannst du leben? Alle Achtung.«
    »Im Grunde ist es nicht viel mehr, als du tust. Und wenn du mich fragst, wirst du dafür ziemlich überbezahlt.«
    »Tja, da hast du vermutlich sogar recht.«
    Es vergingen einige Sekunden, bis Tom bemerkte, dass Fantas Blick erwartungsvoll auf ihm ruhte.
    »Was noch?«, fragte er.
    »Na ja, ich warte darauf, dass du zurück an deinen Tisch gehst.«
    »Warum in Gottes Namen bist du so versessen darauf?«
    Fantas Hand tauchte in seine Jacke. »Weil ich mir seit über einer Stunde die Beine in den Bauch stehe, um eine Widmung von dir in dieses Buch zu bekommen.« Er hielt eine Ausgabe von Schatten der Seele hoch.
    Tom traute seinen Augen nicht. »Das ist alles?«, fragte er erstaunt. »Dafür das ganze Theater?«
    »Ich kriege eben gerne, was ich haben will«, gab Fanta ungezwungen zurück.
    »Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dich vorhin bei den anderen gesehen zu haben«, meinte Tom. »Und jemand wie du wäre mir bestimmt aufgefallen«, fügte er etwas abfällig hinzu.
    Fanta deutete auf die Pillen in dem Becken. »Du hättest mich vermutlich nicht einmal bemerkt, wenn ich genau vor dir gestanden

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