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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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die bereit gewesen war zu töten.
    »Tom, Sie wissen, dass ich als Ihre Ärztin das Recht hätte, Sie im Falle einer Unzurechnungsfähigkeit zu zwingen, sich unter Aufsicht stellen zu lassen.«
    Er betrachtete sie finster. »Ich bin nicht verrückt!«, wehrte er entschlossen ab.
    »Das behauptet auch niemand. Aber sehen Sie denn nicht die Parallelen zu dem, was Ihnen damals passiert ist? Wollen Sie etwa an Ihrer Situation zugrunde gehen wie Ihr Peiniger? Denn genau das wird früher oder später passieren, wenn Sie nicht bereit sind, sich helfen zu lassen.«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische«, sagte Professor Bartsch. »Ich will Ihre Meinung sicher nicht untergraben, Frau Kollegin, aber was das betrifft, teile ich Ihre Ansicht nicht.« Er stand aus dem Sessel auf und kam gemächlich auf Tom und Dr. Westphal zu, wobei er sich nachdenklich den Bart rieb. »Entgegen der allgemeinen Meinung nimmt die Hypnose einem nicht den eigenen Willen. Zumindest nicht, wenn man stark genug ist, sich ihr zu widersetzen. Und da Tom dies getan hat, indem er gegen meine Anweisungen zurück in diesen Keller gereist ist, halte ich ihn für einen äußerst entschlossenen und starken Charakter, der sich nicht mit der labilen und meiner Meinung nach krankhaft geltungsbedürftigen Psyche seines Peinigers vergleichen lässt. Auch die Härte des Traumas spricht eher für ihn. Viele andere wären daran zerbrochen, hätten ihr Leben ohne Hilfe nicht mehr in den Griff bekommen. Die medizinischen Fachbücher sind voll von solchen Fällen. Tom hingegen hat sich erfolgreich diesem Schicksal widersetzt, auch wenn sich sein Handlungsbereich auf seine häusliche Umgebung beschränkt. Aber gerade deshalb halte ich es nicht für förderlich, ihn gewaltsam aus dieser Umgebung herauszureißen. Das könnte mehr schaden als nützen.« Er nahm seine Lesebrille ab und fixierte ihn abschätzend. »Es sei denn, Sie erklären sich freiwillig dazu bereit. Selbstverständlich kann ich nicht behaupten, so intensiv mit Ihrem Fall vertraut zu sein wie meine Kollegin«, fuhr er fort, »aber für mich steht eines außer Frage, Tom: Wenn Sie je wieder ein normales Leben führen wollen, dann müssen Sie die Nabelschnur zu dieser Umgebung hier durchtrennen, oder Sie bleiben für immer ein Gefangener in diesem Keller.«
    Tom erwiderte den Blick des Professors, während er über dessen Worte nachdachte. Ständige Beobachtung hätte durchaus ihre Vorteile, wie er zugeben musste. Keine heimlichen Botschaften mehr, keine Überraschungen. Zumindest keine, die nicht auch anderen auffallen würden. Es würde ihm Klarheit verschaffen. Andererseits fühlte er sich wohl hier. Sicher. Und es gab schlimmere Orte als diesen hier. Allerdings verlangte seine jetzige Situation ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, was sich als schwierig erweisen könnte. Dagegen war der Rundumservice einer Klinik, wo er nur einen Knopf zu drücken brauchte, wenn er etwas benötigte, eine verlockende Alternative. Doch schon der Gedanke daran, jeden Morgen in einer fremden Umgebung unter fremden Menschen zu erwachen, begrub sämtliche Vorzüge unter einer Lawine aus Angst.
    »Nein, danke«, sagte er schließlich. »Ich ziehe die Einsamkeit vor.«
    »Hm«, meinte der Professor nur und schien äußerst enttäuscht. »Es ist Ihre Entscheidung, Tom.«
    »Bitte«, flehte dieser und starrte die beiden Ärzte an, »nehmen Sie mir nicht auch noch das bisschen Freiheit, das mir geblieben ist.«
    Dr. Westphal warf ihrem Kollegen einen kurzen, resignierten Blick zu. Dann wandte sie sich wieder an Tom. »Also gut«, sagte sie. »Aber ich knüpfe einige Bedingungen daran.«
    »Was immer Sie wollen«, sagte Tom.
    »Ich rufe Sie mehrmals am Tag und zu unterschiedlichen Zeiten an. Sollten Sie sich nicht melden oder ich das Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, leite ich gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen ein.«
    Tom nickte zustimmend.
    »Außerdem komme ich gelegentlich vorbei, um nach Ihnen zu sehen und mir persönlich ein Bild von Ihnen zu machen. Sind Sie damit einverstanden?«
    »Ja«, stimmte Tom zu. Wahrscheinlich hätte er ihr auch erlaubt, vor seinem Grundstück zu zelten, nur um sie loszuwerden. Er wollte nur noch alleine sein.
    »Meine Nummer haben Sie ja. Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie glauben, mit jemandem reden zu müssen.«
    »Versprochen.«
    Tom begleitete die beiden zur Tür und verabschiedete sie. Und als sich das Motorengeräusch ihrer Wagen entfernte, sackte er schluchzend

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