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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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seine Frau jetzt? Ich würde ihr gerne ein paar Fragen stellen.«
    »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen«, sagte Tom, dessen Verstand wieder eingesetzt hatte und der sich vorkam wie der Tagesordnungspunkt eines medizinischen Kongresses über Schwachsinnige.
    Der Professor beäugte ihn skeptisch über den Rand seiner Brille hinweg. »Tom?«, fragte er vorsichtig.
    »Höchstpersönlich«, entgegnete er trotzig und war zugleich erleichtert, dass die Stimme nun keine Kontrolle mehr über ihn hatte. Er hatte vorerst genug von Stimmen.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    »Erschöpft. Ich brauche jetzt etwas Ruhe, wie Sie bestimmt verstehen werden.«
    »Natürlich, Tom. Vorher würde ich aber gerne wissen, an was genau Sie sich von Ihrer Sitzung erinnern.«
    An alles bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich dir an die Gurgel gesprungen bin! »Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist der Schmerz von glühendem Metall in meinem Bein«, antwortete Tom gereizt. »Ich hoffe, dass Sie nicht von mir verlangen, Ihnen die Vorfälle noch einmal zu schildern.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Dr. Westphal mitfühlend.
    »Dann werden Sie sicher auch verstehen, dass ich jetzt etwas Zeit für mich brauche.«
    »Ich halte es unter den gegebenen Umständen nicht für ratsam, ihn alleine zu lassen«, mahnte der Professor und sah Dr. Westphal mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Er hat recht.« Die Ärztin warf einen suchenden Blick auf den offenen Zugang des Wintergartens. »Wo ist Ihre Frau, Tom? Ich habe sie vermisst, als wir vorhin gekommen sind. Ist heute nicht ihr Geburtstag?«
    Rufen Sie sie doch an, hätte er beinahe gesagt. Es wundert mich fast, dass Sie nicht eingeladen sind! Er räusperte sich. »Sie ist … weg.«
    Dr. Westphal betrachtete ihn prüfend. »Was ist passiert?«
    »Ich habe sie nicht umgebracht, falls Sie das meinen.« Seine Stimme überschlug sich vor Sarkasmus. »Sie ist mit Mark zu ihren Eltern gezogen.«
    »Und was war der Grund dafür?«
    Toms überraschter Blick schien zu fragen, ob sie neuerdings auch als Eheberaterin fungierte. »Ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht.«
    »Da irren Sie sich, Tom«, erwiderte sie. »Wenn der Grund dafür, wie ich vermute, ein ähnlicher Wutanfall war, wie wir ihn hier gerade erlebt haben, dann geht mich das als Ihre Ärztin sehr wohl etwas an!«
    Tom erhob sich und kehrte ihr den Rücken zu.
    »Na gut«, sagte sie darauf, »da ich keinen Widerspruch von Ihnen höre, gehe ich also davon aus, dass ich mit meiner Vermutung richtigliege.«
    Er schwieg weiter.
    »Hören Sie, Ihre Sturheit bringt uns nicht weiter. Ich glaube, ich weiß, wie Ihnen zumute ist. Aber es haben sich völlig neue Aspekte in Ihrem Fall ergeben, die wir analysieren müssen. Es werden weitere Sitzungen nötig sein, um …«
    »Nein.« Tom drehte sich abrupt zu ihr um. »Bilden Sie sich bloß nicht ein, Sie hätten auch nur die leiseste Ahnung von dem, was ich durchgemacht habe. Ich bin heute zum zweiten Mal durch die Hölle gegangen, Frau Doktor. Verlangen Sie nicht auch noch von mir, Ihnen meine Narben zu zeigen. Ich bin sicher, ich habe Ihnen heute diesbezüglich genug Einblicke gewährt. Falls nicht, tut es mir leid, denn es wird keine weiteren Sitzungen mehr geben. Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte. Der Wächter war allein, es gab keinen zweiten Täter.«
    »Sie haben recht, Tom«, gab sie zu. »Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste zwar, dass diese Erlebnisse sehr schrecklich für Sie gewesen sind, aber mit einem solchen Ausmaß an Grausamkeit hatte ich nicht gerechnet. Das lässt mich vieles in einem anderen Licht sehen. Aber es zeigt mir auch deutlicher als vorher, dass Sie Hilfe brauchen. Ich hätte ernsthafte medizinische Bedenken, Sie hier einfach zurückzulassen.«
    »Meine Familie ist weg. Wen könnte ich also gefährden außer mich selbst?«
    »Also, das wäre ein völlig ausreichender Grund, finden Sie nicht?«
    Ihre Blicke ruhten einige Sekunden aufeinander, und Tom betrachtete die Schwellung über ihrem rechten Wangenknochen.
    »Ich weiß Ihre Fürsorge durchaus zu schätzen«, sagte er schließlich. »Aber sie ist nicht länger notwendig. Ich danke Ihnen beiden für Ihr schnelles Erscheinen und Ihre Mühe. Und natürlich entschuldige ich mich in aller Form für den Zwischenfall vorhin. Aber nun möchte ich Sie bitten, mein Haus zu verlassen.«
    »Aber …«
    »Gehen Sie!«, wiederholte Tom mit Nachdruck. Noch immer verspürte er das Nachbeben der Wut, die sich in ihm entfesselt hatte. Wut,

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