Stilettos für Anfänger
das Telefon klingelte, fuhr Annie erschrocken hoch. Sie war schon seit Stunden im Bett und las die Artikel, die Lacy ihr mitgebracht hatte, dachte über die darin beschriebenen Verführungstechniken nach und fragte sich, wie sie sie auf Guy anwenden könnte. Er war völlig fertig gewesen heute Abend, dessen war sie sich ganz sicher. Guy begehrte sie.
Zumindest wenn sie dieses Kleid trug.
Sie empfand ein leises Schuldbewusstsein wegen ihrer sündhaften Überlegungen und errötete sogar, als sie beim dritten Klingeln abnahm. Sie gab sich Mühe, damit ihre Stimme verschlafen klang. Schließlich war es schon nach Mitternacht.
“Hallo?”
“Bist du wach, Annie?”
Daniel. Es musste etwas geschehen sein, wenn er so spät noch anrief. “Was ist? Was ist passiert?” Zuerst befürchtete sie, Guy hätte etwas so Idiotisches getan wie durchzubrennen, und ihr Magen verkrampfte sich vor Furcht.
Aber es kam noch schlimmer.
“Er ist okay jetzt. Wirklich. Aber Guy hatte einen Unfall, nachdem er von dir weggefahren war. Er ist hier im Krankenhaus.”
Sie hatte die Worte noch gar nicht richtig registriert, als sie schon aus dem Bett sprang, das Telefon zwischen Ohr und Schulter klemmte und sich fieberhaft nach Jeans und T-Shirt umsah. “Was ist passiert? Ist er verletzt?”
Sie konnte die Panik in ihrer Stimme hören, glaubte aber nicht, dass Daniel sie bemerkte. “Er hat sich das Knie verletzt und wird eine Zeit lang nicht mehr joggen können. Und er hat ein paar ziemlich hässliche Quetschungen, vor allem um die Rippen.”
Das Zimmer verschwamm vor Annies Augen. “Oh Himmel. Quetschungen.”
“Prellungen, Annie. Bloß ein paar blaue Flecke. Und er hat sich auch am Kopf verletzt.”
Sein schöner Kopf! Sie begann zu zittern. “Wie …” Sie schluckte. “Wie schlimm ist es?”
“Er ist bei Bewusstsein und wird wieder in Ordnung kommen. Aber er ist ein bisschen unruhig und widerspenstig.” Eine kurze Pause, dann: “Könntest du ins Krankenhaus kommen, Annie?”
Als hätte sie zu Hause bleiben können! “In ein paar Minuten bin ich da.”
“Nein! Du wirst in etwa einer Stunde hier sein. Es ist eine lange Fahrt für dich, und die Straßen sind in schlechtem Zustand. Der Regen hat sich in Schnee verwandelt, und es sind überall Schneepflüge unterwegs. Nimm dir Zeit und fahr vorsichtig, okay? Ich will nicht euch beide hier bei mir in der Klinik haben.”
“Ich fahre vorsichtig”, versprach sie und legte auf, bevor er ihr noch weitere Vorträge halten konnte. Es war typisch für Daniel, sich in einem solchen Augenblick um ihre Fahrweise zu sorgen.
Zwei Minuten später verließ Annie ihr Apartment, mit ungekämmtem Haar, hastig übergestreiften Kleidern und Schuhen ohne Socken. Daniel hatte recht, musste sie feststellen. Die Straßen waren vereist, und die Erkenntnis machte sie noch viel nervöser. Wie schlimm war Guy verletzt worden in diesem üblen Wetter? Daniels Versicherungen beruhigten sie überhaupt nicht. Ihm war zuzutrauen, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit sagte, nur damit sie langsam fuhr. Schuldbewusstsein durchflutete sie, bis sie glaubte, daran zu ersticken.
Ihre eindrucksvolle Verführungstechnik hatte ihn in die Flucht getrieben! Er war buchstäblich aus ihrem Apartment gestürzt, und alles war nur ihre Schuld.
Trotz der schlechten Straßenverhältnisse brauchte sie nur die Hälfte der von Daniel prophezeiten Zeit, um die Klinik zu erreichen. Sie stürzte durch die Tür der Notaufnahme und kam schlitternd zum Stehen, als Lacy ihr auf dem Korridor entgegenkam.
“Lacy? Was tust du denn hier? Hat Daniel dich auch angerufen?” Sie fragte sich, ob er die ganze Familie angerufen hatte. Ging es Guy schlimmer, als sie befürchtet hatte?
Lacy lächelte beruhigend. “Ich habe gerade für einen Moment bei Daniel hereingeschaut, als Guy eingeliefert wurde. Komm, ich zeige dir, wo sie ihn untergebracht haben.”
“Geht es ihm gut, Lacy?”
Lacy drückte Annies Hand. “Es wird ihm bald wieder besser gehen, aber im Moment ist er noch etwas benebelt. Ah, da ist Daniel – und du weißt ja, was für ein hervorragender Arzt dein Bruder ist, Annie.”
Annie wusste es; Daniel war einer der allerbesten. Aber im Moment vermochte auch das nicht, sie zu beruhigen.
“Daniel? Sag mir, was mit Guy ist. Warum ist er noch hier, wenn alles in Ordnung mit ihm ist? Und wo ist er? Ich möchte ihn sehen.” Sie würde erst dann Gewissheit haben, dass ihm nichts Schlimmes geschehen war, wenn sie sich
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