Stilettos für Anfänger
sie zu ihm. “Du siehst auch so aus, als hättest du verloren. Du bist übersät mit Prellungen.”
“Und du siehst aus, als wärst du kurz davor zu weinen.” Er betrachtete mit trüben, schmerzerfüllten Augen ihr Gesicht und sagte dann leise: “Es wäre mir lieber, wenn du es nicht tun würdest.”
“Nein.”
“Mochtest du ‘Mary Poppins’, als du klein warst?” Bevor sie antworten konnte, lachte er. “Was sage ich? Klein bist du noch immer. Ich meinte, als du jünger warst.”
Sie nickte, zog einen Stuhl ans Bett heran und setzte sich rasch neben ihn, bevor ihre Knie nachgaben.
Vorsichtig griff sie durch das Eisengitter und schloss die Finger um seine große Hand. “Du warst der Einzige, der sich den Film früher mit mir angesehen hat.”
“Unmöglich. Ich hasste diesen blöden Film. Und ich hasse ihn noch immer. Vielleicht nicht die ersten zwölf Male, als ich ihn sah, aber danach …”
Sie spürte, wie ihre Unterlippe zitterte. Obwohl er den Film gehasst hatte, hatte er ihn sich mit ihr angesehen? “Guy, ich lie…”
“Trägst du einen Slip?”
Ihr Geständnis blieb ihr in der Kehle stecken. “Was?”
“Sag die Wahrheit, Annie.” Guy betrachtete sie von Kopf bis Fuß, doch da sie wie gewöhnlich Jeans und Sweatshirt trug, konnte er nichts sehen. “Also? Trägst du einen oder nicht?”
Misstrauisch runzelte er die Brauen, und Annie musste tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Himmel, fast hätte sie ihm gesagt, sie liebte ihn. Nicht, dass er sich etwas dabei gedacht hätte. Ihre Familie war sehr liebevoll, und es war nichts Ungewöhnliches für sie, es zu zeigen und zu sagen. Aber Annie hätte es nicht so gemeint, wie er es aufgefasst hätte.
Sie versuchte, eine Antwort für ihn zu finden, als Daniel hereinkam. “Na, wie fühlst du dich, Kumpel?”
“Daniel.” Guy grinste plötzlich. “Weißt du, dass du der beste Arzt auf der ganzen Welt bist? Ich meine es ernst, Mann. Du hast mich gerettet.” Dann, wie um Annies Argument zu bestätigen, sagte er: “Ich liebe dich wie einen Bruder, Daniel.”
Daniel schüttelte den Kopf. “Ich dich auch, Guy.” Zu Annie sagte er: “Das ist etwa die zwölfte Liebeserklärung, die ich von ihm bekommen habe, seit das Schmerzmittel zu wirken begonnen hat.”
Annie unterdrückte ein Grinsen.
“Ich meine es ernst. Es war der einzige Lichtblick dieser unglücklichen Nacht, dass du gerade Dienst hattest.” Guy stöhnte und kniff die Augen zu. “Verdammt, ich wünschte, mein Kopf würde nicht so schmerzen.”
“Solange du nicht aufhörst, wie ein Wilder hier herumzujodeln, wird dein Kopf auch weiterhin schmerzen. Du musst dich still verhalten.” Daniel grinste, als er es sagte, und sah dann Annie an. “Kommst du einen Moment mit mir nach draußen, Schatz? Die Schwester muss ihm jetzt noch einmal Blut abnehmen, und ich möchte mit dir reden.”
Guy riss die Augen auf und sah erschrocken Annie an. “Gehst du schon?”
Er klang beinahe verzweifelt, und Annie spürte, wie die gefürchteten Tränen ihr schon wieder in die Augen schossen. Seiner Kopfschmerzen wegen bemühte sie sich, leise und beruhigend zu sprechen. “Nein, natürlich nicht. Ich komme gleich zurück.”
“Versprochen?”
“Versprochen.”
Guy verzog das Gesicht und rief dann so laut, dass der ganze vierte Stock es hören konnte: “Daniel, sag ihr bitte, sie soll Unterwäsche tragen.”
Daniel drehte sich verwundert um. “Also ich muss doch wirklich bitten, Guy!”
“Sie ist eine ganz Raffinierte, das sag ich dir.” Er zuckte zusammen, als er einen Arm hob, um anklagend auf sie zu zeigen. “Ich würde dir raten, besser auf sie aufzupassen.”
Daniels Lippen zuckten, und Annie schnappte empört nach Luft. Rasch floh sie durch die Tür und zog Daniel mit hinaus. Zwei Krankenschwestern kicherten.
Kaum hatten sie den Raum verlassen, begann Daniel laut zu lachen. “Ich hab dir ja gesagt, dass er high ist. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der von einem ganz normalen Schmerzmittel dermaßen benebelt ist. Bisher hat er nicht nur mir seine Liebe gestanden, sondern auch dem Röntgenologen und der Schwester, die ihm Blut abgenommen hat.”
“Mich hat er nicht erwähnt?”
“Nein, tut mir leid, Schatz, aber dich hat er mit keinem Wort erwähnt. Vielleicht ist er böse auf dich wegen dieses dummen Experiments, das du vorhast.”
Annie versteifte sich. “Es ist nicht dumm.”
“Na ja, was immer es auch sein mag, glaubst du, du könntest es noch eine Weile
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