Still und starr ruht der Tod
Frustriert. Bitter. Eine von den Frauen, die immer hart und auf sich allein gestellt gekämpft hatten und schließlich desillusioniert weiter ihre Schlachten schlugen. Aber passte Selbstmord zu so einer Persönlichkeitsstruktur?
Katinka bog am Kreuz Bayreuth/Kulmbach nach Hof ab. Die Schneepflüge war sie los. Es hörte auf zu schneien. Sie spürte, wie der Wind ihren Beetle von der Seite anfiel.
Sie musste vorsichtig sein, nichts überstürzen. Zum Thema Rita Weiß hatte sie bislang nur Simones Meinung.
Es war ja nichts Ungewöhnliches. Zwei Freundinnen, die sich nach 20 Jahren wiedersahen und bemerkten, dass sie nicht mehr miteinander konnten. Logisch, dass zunächst Frust und dann Schuldzuweisungen aufkamen. Himmel, was erwarteten die Damen eigentlich? Dass sie an eine vollkommen andere Lebenszeit anknüpften, dort weitermachten, wo es noch ein ›weiter‹, gegeben hatte? Anfang 20 nämlich? Katinka war Anfang 30, und das fühlte sich schon definitiv anders an. Simone und Rita hatten sich beide verändert, empfanden die Veränderung als nachteilig, ohne es sich einzugestehen, aber erst die Begegnung mit der anderen führte jeder von ihnen vor Augen, dass die Welt nicht stehen geblieben war. Dass Träume versandet, Pläne auf der Strecke geblieben und Hoffnungen ausgeblutet waren. Hardo hatte mal darüber gesprochen. Dass man sich damit abfinden musste, in jeder Dekade seines Lebens ein anderer Mensch zu sein. Katinka konnte lediglich ahnen, was das bedeutete, doch Hardo steckte in der sechsten Dekade und hatte insofern einen Erkenntnisvorsprung.
Hardo. Hauptkommissar bei der Bamberger Mordkommission und seit Längerem Katinkas Lebenspartner. Er arbeitete gerade an einem unappetitlichen Fall. Ein Mann hatte seine Frau jahrelang zu Hause mit Gewalt festgehalten, geschlagen und schließlich getötet. Das war Hardos Version. Der Knackpunkt war, herauszufinden, ob es tatsächlich fahrlässige Tötung war, oder ob es Hinweise auf einen geplanten Mord gab. Katinka fand die Unterscheidung vollkommen absurd. Die Frau war tot, und ein eigenes Leben hatte sie kaum gehabt. Warum banden sich Frauen an solche Männer? Warum kriegten sie nicht rechtzeitig die Kurve?
Im Schritttempo lenkte sie den Wagen durch die Ausfahrtschleife auf die B 15.
Die Höhen des Fichtelgebirges waren verweht, die Straßen aber passierbar. Stellenweise sah Katinka nichts als die verschneite Straße, die orange-schwarzen Pflöcke, die rechts und links aus dem Schnee ragten, die weiten Hügel und von Schneemassen gebeugten Fichten. Einmal riss die Wolkendecke kurz auf. Ein Sonnenstrahl brachte für Sekunden die weiße Welt zum Glitzern. Katinka stellte das Radio wieder laut. Sie brauchte einen Beweis für die Existenz einer Außenwelt. Ab und zu entdeckte sie Abzweigungen, die in den Wald führten, probierte zwei aus, stellte schnell fest, dass sie so gut wie unpassierbar waren, und stieß zurück auf die Hauptstrecke.
»Wie«, murmelte sie vor sich hin, »bringt man sich im Winter am besten um?«
Rita könnte sich aufgehängt haben. Irgendwo im Wald. Aber das ließ sich einfacher haben. Warum ins Gebirge fahren, wenn es rund um Bamberg auch Bäume gab? Und wer setzte sich stur in sein Auto und wartete darauf, zu erfrieren? Abgase einleiten ginge schneller.
Das macht alles keinen Sinn, dachte Katinka. Außerdem war nicht jeder Frustrierte automatisch bereit, sich umzubringen. Simone war übel enttäuscht und interpretierte vermutlich deswegen alles Mögliche in Ritas Verhalten hinein.
Als Katinka endlich in Hof vor dem Haus hielt, in dem Walli und Horst wohnten, wurde es bereits dunkel. Sie stellte den Motor ab und wartete eine Weile.
Kein schöner Wohnblock, dachte sie, als sie schließlich ausstieg. Ein viereckiges Ding, mit den jahreszeitbedingten blinkenden Lichterketten, den illuminierten Sternen und anderem Equipment in allen möglichen Farben, das Katinka immer an die Fassade eines Puffs erinnerte.
›Broicher/Reichert‹ stand auf dem Namensschild neben der Klingel. Katinka drückte drauf.
»Ja?«, kam eine Frauenstimme blechern aus dem Lautsprecher.
»Katinka Palfy hier. Privatdetektivin. Ich komme wegen Rita Weiß.«
»Wegen Rita?« Pause. »Ist sie wieder … aufgetaucht?«
»Besser, wir besprechen das bei Ihnen in der Wohnung«, schlug Katinka mit Blick auf die vielen Klingelknöpfe vor. Niemand wusste, wer an seiner Gegensprechanlage hing und lauschte.
Der Türsummer ging. Katinka trat ein.
Im zweiten Stock wartete Walli
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