Stille Kuesse sind tief
Hände in die Hüften. „Ich liebe alle meine Jungs gleich. Das wisst ihr beiden auch ganz genau.“
Rafe blieb stehen, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. „Tun wir, Mom. Aber manchmal macht es einfach Spaß, dich ein wenig aufzuziehen.“
An diesem Abend waren sie nur zu viert. Heidi und ihr Großvater waren in die Stadt gefahren, damit die Strykers ihre Wiedervereinigung ungestört feiern konnten.
Clay kam in die Küche geschlendert und ging zu seiner Mutter. „Du bist noch hübscher als beim letzten Mal, als ich dich gesehen habe“, erklärte er und umarmte sie liebevoll. Als er sie wieder losließ, drehte er sich zu Rafe um. „Hey, da hängt so ein weißes Kleid oben herum. Weißt du was darüber?“
Rafe kniff die Augen zusammen. „Du hast es doch wohl nicht angegrapscht, oder?“
„Nein.“ Clay hob beide Hände. „Nur angeschaut.“ Er zwinkerte seinem Bruder zu. „Du willst tatsächlich heiraten? Was findet sie nur an dir?“
„Mehr als an dir.“
Clay klopfte ihm auf die Schulter und meinte dann zu Shane: „Hast du schon meinen Truck gesehen?“
„Der ist ja wohl kaum zu über sehen.“
„Wenn du mich ganz artig fragst, dann darfst du ihn mal fahren.“
Shane grinste. „Nein, danke. Übrigens, ich war mit deinem Cadillac in San Diego. Hab ihn sozusagen für dich eingefahren.“
Clay riss die dunklen Augen auf. „Nein“, sagte er langsam. „Das hast du nicht gewagt.“
„Das Baby liegt super in den Kurven und hat ordentlich Speed drauf.“
Clay stürzte sich auf ihn, doch Shane wich ihm geschickt aus und packte seinen Bruder, als der sich wieder umdrehte. Ihr kleiner Zweikampf rief May auf den Plan, die die beiden anschrie, sie sollten gefälligst aufhören. Schnell griff sie nach einem Geschirrhandtuch und attackierte ihre Söhne damit.
„Nicht vor dem Essen“, rief sie und schlug im Rhythmus ihrer Worte auf die beiden ein. „Hört sofort auf, alle beide. Heute ist das erste Mal seit drei Jahren, dass die ganze Familie zusammen ist, und ihr werdet mir das jetzt nicht ruinieren.“
Shane ließ Clay los und richtete sich auf. Er blickte zu Rafe, der May anstarrte. Clay sah genauso peinlich berührt aus, als er sein Hemd glatt strich.
„Nicht die ganze Familie, Mom“, erwiderte er.
Mays fröhliche Miene wurde schlagartig ernst. „Nein“, entgegnete sie hastig. „Ich meine uns vier. Natürlich ist Evangeline nicht hier, was sehr schade ist.“
Shane merkte, dass ein vertrautes Gefühl von Zorn in ihm aufstieg. „Ich gehe nach den Pferden sehen“, sagte er und marschierte zur Tür. „Zum Essen bin ich wieder da.“
„Ich stelle jetzt die Kartoffeln auf“, rief seine Mutter ihm hinterher. „Zwanzig Minuten. Nicht länger.“
Shane ging nach draußen und holte tief Luft. Es nutzt niemandem, wenn du dich jetzt aufregst, ermahnte er sich. Im Grunde traf ihn genauso viel Schuld an allem.
Hinter ihm wurde die Tür geöffnet, und Rafe kam heraus. Die Brüder schauten sich an.
„Es ist nicht deine Schuld“, meinte Rafe leise. „Nichts davon. Du warst noch ein Kind.“
Shane zuckte mit den Schultern. „Wenn ich ihn nicht mit nach Hause gebracht hätte …“, begann er.
Rafe verzog das Gesicht. „Soll ich dich verprügeln?“
„Meinst du etwa, dass dir das gelingt?“
„Ich könnte es immerhin versuchen.“ Rafe stellte sich zu ihm an das Geländer der Veranda. „Du warst acht, Shane. Acht Jahre alt. Du hattest deinen Dad verloren und hast jede Nacht mitbekommen, wie sich deine Mom in den Schlaf geweint hat. Du wolltest nur helfen.“
„Es hat aber nicht geholfen, sondern alles nur noch schlimmer gemacht. Ich bin froh, dass wir Evie haben, aber dieser Typ …“
Sechsundzwanzig Jahre zuvor, nach dem Tod ihres Vaters, hatte Shane in der Stadt einen Cowboy getroffen. Mit seinen acht Jahren hatte er all das, was um ihn herum passiert war, nicht wirklich begreifen können. Alles, was er wusste, war, dass seine Mom seinen Dad vermisste, und Randy, der Cowboy, den er getroffen hatte, war nett und hatte bereitwillig die Einladung zum Essen bei ihnen zu Hause angenommen.
Offenbar hatte Randy mehr als nur das Dessert vernascht, denn neun Monate später war Evangeline geboren worden.
„Sie hätte Evie zur Adoption freigeben sollen“, meinte Shane tonlos.
Rafe starrte ihn an. „Wie kannst du das sagen? Sie ist unsere Schwester.“
„Ich weiß, wer sie ist und was sie durchmachen musste. Weil sie so viel jünger war als wir, hatten wir nie Zeit für
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