Stille Sehnsucht
„Ich würde es auch für Mik tun, für dich oder für Colin. Für Tyler. Sogar für Grace, glaube ich. So sind Familien nun mal. Na gut, vielleicht nicht jede, aber unsere auf jeden Fall.“
Kilian schwieg eine Weile, um dann hörbar zu seufzen und sich damit geschlagen zu geben. „Ich weiß. Ich war nur so... so... Himmel, Niko... sie haben für mich getötet, verstehst du das? Für mich. Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll. Nicht, dass ich traurig wäre, weil diese Typen tot sind, aber... Ach, das ist doch Scheiße.“
Niko verstand Kilians Gewissensbisse, schüttelte aber trotzdem den Kopf, denn da gab es etwas, das Kilian in seinen Augen vollkommen übersah. „Denk' das nicht. Ich glaube, so haben sie das gar nicht gesehen. Ich tue es jedenfalls nicht. Hast du auch nur eine Ahnung davon, wie hilflos, verzweifelt, wütend, fassungslos und... und... mir fehlen die richtigen Worte.“ Niko überlegte kurz. „Ich bin die ganze Nacht durch Phily gefahren. Ich hätte jeden Stein in dieser Stadt umgedreht, verstehst du? Ich hätte alles getan, wenn es geholfen hätte, dich zu finden. Aber wir hatten keinen Anhaltspunkt. Nichts. Es war, als wäre ich in einem schwarzen Loch gefangen und würde nicht mehr herausfinden. Ich dachte immerzu nur, dass das alles ein Albtraum sein muss.“
„Ich weiß, was du meinst“, sagte Kilian nachdenklich und Niko schalt sich einen Idioten, als ihm klar wurde, dass Kilian von der Kiste sprach.
„Tut mir leid, ich wollte nicht...“
„Ist schon gut“, unterbrach Kilian ihn leise. „Ich kann zwar immer noch keine Kisten sehen, aber die Albträume haben aufgehört. Und wo wir gerade darüber reden... ich habe Dale erzählt, dass ich nicht mehr malen kann.“
Oh. Niko setzte sich überrascht auf. „Und?“
„Er wusste es schon. Ihm ist dasselbe aufgefallen wie dir und er sieht mich öfter als du. Dale hat seine Schlüsse gezogen und gewartet, dass ich es ihm sage“, antwortete Kilian und lachte leise. „Weißt du, was er gesagt hat? 'Na wird ja auch Zeit, dass du dich endlich traust.' Ich war im ersten Moment so verdattert, dass ich ihm am liebsten eine gescheuert hätte. Danach habe ich ihn angemeckert, warum er nichts gesagt hat, wenn er es eh schon wusste, und am Ende hat er mich geküsst, damit ich endlich den Mund halte.“
Niko gluckste. „Das macht Tyler auch immer, wenn er mich mundtot kriegen will.“
Kilian kicherte kurz. „Na jedenfalls bin ich danach los, um nachzudenken, und habe David angerufen, weil er in solchen Sachen immer einen Rat für mich hat. Apropos, David und Adrian... Ich weiß, dass die Kendalls bei ihnen sind. Ist die Lage so schlimm, wie ich befürchte?“
„Schlimmer“, antwortete Niko ernst.
Kilian holte hörbar Luft. „Scheiße.“
„Wem sagst du das“, stimmte Niko ihm zu. „Was hast du jetzt vor?“
„Morgen Abend nach Hause fliegen, Colin hat vorhin die Tickets geordert. Und sobald Dale und ich unseren Umzug über die Bühne gebracht haben, werde ich eine neue Therapie anfangen. Dale hat einige Namen für mich herausgesucht. Erfahrene Psychologen, die auf Fälle wie meinen spezialisiert sind.“
Niko runzelte die Stirn. „Fälle, wie deine? Was soll ich denn darunter verstehen?“
„Traumapatienten. Mit Betonung auf Trauma in der Mehrzahl. Dale ist der Meinung, dass du...“ Kilian brach abrupt ab und räusperte sich. „Ähm...“
Niko verdrehte die Augen. „Ich kann es mir denken. Sag' Bescheid, wenn du dir einen Termin geben lässt, ich denke darüber nach.“
„Du würdest tatsächlich...?“
„Nicht, wenn du jetzt anfängst, darüber zu reden, also tun wir einfach so, als hätte es dieses Gespräch hier nie gegeben, klar?“ Niko war hin und hergerissen zwischen resigniert und sauer sein. Er wusste selbst nicht, warum er sich bereit erklärt hatte, eine Therapie zu machen, und noch hatte er nicht zugesagt. „Ich gehe jetzt duschen. Der Bulle meines Herzens hat mir Sandwichs versprochen.“
„Der Bulle deines Herzens?“
„Kein Kommentar“, antwortete Niko trocken, und als Kilian anfing zu lachen, legte er grinsend auf, um Tyler im Badezimmer zu überfallen und ihn für einen Quickie unter die Dusche zu zerren.
Das Badezimmer war aber leider leer, weshalb Niko entschied, sich etwas überzuziehen und seinen Bullen zu suchen, da er ihn in der Küche zuvor nicht gesehen hatte. So groß war die Wohnung nicht, dass sich jemand in ihr verstecken konnte. Vielleicht war Tyler nur schnell etwas
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