Stiller Zorn: Roman (German Edition)
mehr?«
» Rien .«
»Besten Dank, Alison. Ich hoffe doch, Sie sagen mir Bescheid, wenn Sie wieder was hören.« Ich gab ihr meine Telefonnummer, bedankte mich noch mal und legte auf.
Einige Zeit später ging ich rüber ins Haus und setzte einen Topf Wasser auf. Ich war gerade am Kaffeemahlen, als die Haustür aufgeschlossen wurde und kurz darauf Verne in die Küche kam.
»Kaffee, was?«
»Genau.«
»Reicht der auch für mich?«
»Immer.«
Sie ließ einen Krug Wasser ein und goss die Pflanzen auf dem Fensterbrett.
»Ich bin ein paar Tage weg, Lew.«
»Milch?«
»Lieber schwarz. Kommst du klar?«
»Wie immer.«
Wir saßen am Küchentisch, hatten die dampfenden Tassen zwischen uns stehen. Verne trank einen Schluck und verzog das Gesicht.
»Du bist doch nicht sauer auf mich.«
Ich zuckte die Achseln.
»Du weißt doch, dass ich immer zurückkomme. Keiner macht so guten Kaffee wie du.«
Sie nahm ihre Tasse und trank sie aus, während sie packte. Ich schaltete das Radio ein – Die Hochzeit des Figaro . Später hörte ich den Taxifahrer an der Tür klingeln, hörte, wie Vernes Koffer an die Schwelle stieß, als sie ging. Und danach Stille.
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3
In dieser Nacht brach plötzlich und ohne dass man in der Dunkelheit rundum etwas davon sah – als ob die Stadt, so wie einst Alice, in irgendein Urloch getorkelt und in einer anderen Welt gelandet wäre – ein Sturm aus.
Ich wachte um drei oder vier vom Lärm der Zweige auf, die an das Haus peitschten. Der Strom war total ausgefallen, und es gab kein Licht, nirgendwo. Irgendwo in der Dunkelheit da draußen wogte der Wind in mächtigen Flutwellen. Der Regen prasselte und trommelte wie Faustschläge aufs Dach. Doch wenn ich rausschaute, konnte ich nichts von all dem sehen, was ich wahrnahm.
Es ging noch eine Stunde so weiter, vielleicht länger – die Ausläufer eines Hurrikans, wie wir tags darauf erfuhren, der Galveston erfasst, einzelne Gebäude ausgerissen hatte wie lockere Zähne und sich ausgetobt hatte, als er den Kanal hoch in Richtung Mobile gezogen war.
Am nächsten Morgen erfuhren wir das, bei milder Witterung, ungewöhnlich klarer Luft und strahlender Sonne, die kühl und gleißend am Himmel stand. Als die Gehsteige voller Würmer waren, die aus dem Boden gekrochen waren und leblos im träge aufsteigenden Dampf lagen. Als die Autos auf sämtlichen Straßen die abgefallenen Zweige der alten Bäume umkurven mussten. Und kreuz und quer über den Straßenbahngleisen auf dem Mittelstreifen die umgestürzten Stämme der entwurzelten Palmen lagen – ein ganzes Drittel des uralten, zeitlosen Bestands der Stadt.
4
Und es kam ihnen so vor, als würde sich in wenigen Minuten eine Lösung finden lassen und ein neues, wunderschönes Leben anbrechen; aber sie wussten nur zu gut, dass noch ein langer, langer Weg vor ihnen lag, und dass der schwierigste und beschwerlichste Teil gerade erst anfing.
Ich tröstete mich mit Tschechow.
Dann rief ich Davids Nummer in New York an, wählte, als sich niemand meldete, die 0 und bat um eine Verbindung mit der zuständigen Fernsprechauskunft in New York. Ich landete bei einer ruhigen, höflichen Frau und fragte, ob ich vielleicht die Nummer vom Hausmeister eines Apartmentkomplexes erfahren könnte. Sie stellte mich zu ihrer Vorgesetzten durch, die sich meine Erklärung anhörte, sagte, sie werde zurückrufen, es auch machte und mir die Nummer eines gewissen Fred Jones gab.
Ich wählte wieder und bekam ein »Yeah?« zu hören.
»Ist Mister Jones da, bitte?«
»Kommt drauf an. Sind Sie ein Mieter?« Im Hintergrund hörte ich Kinder, die einander niederschrien, einen plärrenden Fernseher.
»Nein, Ma’am«, sagte ich und hoffte, dass mir die Fantasie zu Hilfe eilte, oder zumindest zu Hilfe kam, und die Leere füllte.
»Dann geht’s um einen der Mieter.«
»Nein, Ma’am.«
»Tja … nun, er schläft, deswegen. Soll ich ihn aufwecken?«
»Ja, Ma’am, ich glaube, das wäre das Beste.«
»Das wird ihm aber gar nicht passen.«
»Wem schon?«
Ein paar Minuten später hatte ich einen knurrigen Mr Jones an der Strippe.
»New York Police Department«, sagte ich. »Wir haben eine Vermisstenmeldung vorliegen. David Griffin. Hat, soweit wir wissen, zuletzt bei Ihnen gewohnt. Hoffe, Sie können uns weiterhelfen.«
»Ich tu, was ich kann, Officer. Arbeite immer mit der Polizei zusammen. Aber wir ham ihn in letzter Zeit nicht mehr gesehn. Ab nach Europa, hat er uns gesagt, das is im Juni gewesen.
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