Stiller Zorn: Roman (German Edition)
Sklavenunterkünften im Hinterhof, und dort arbeite ich. Ich habe dahinten eine Stereoanlage und jede Menge Bluesplatten, einen Aktenschrank, einen Schreibtisch mit allerlei Fächern, einen Schreibmaschinentisch, ein paar Bücher und sonst kaum was. Kakerlaken natürlich. Wenn ich nachts das Licht einschalte, wird der schwarze Schreibtisch im Nu wieder weiß.
Ich hatte die ersten achtzig Seiten eines neuen Romans fertig, Die abgetrennte Hand sollte er heißen, war gerade bei einer Barszene und fragte mich, ob mein irrer Cajun jemand aufmischen oder aufgemischt werden sollte. Ich hatte Cajun-Musik laufen, wie so oft, wenn ich an diesen Büchern schrieb, hoffte, dass sich dieser wilde, treibende Beat in meinem Text niederschlug. Nathan Abshire, der mit seinem Akkordeon den »Pinegrove Blues« runtersägte, einen Song, den er unter verschiedenen Pseudonymen aufgenommen hatte, mindestens einmal als »Ma Négresse«. Ich blätterte zurück und stellte fest, dass Boudleaux zwei Kapitel vorher verprügelt worden war, fand es daher besser, wenn er diesmal gewann. Eine Figur in dem Buch war ziemlich eindeutig Blaise Cendrars nachempfunden – daher der Titel. Ich fragte mich, ob einer der Kritiker oder Rezensenten darauf anspringen würde. Außerdem fragte ich mich, ob andere Autoren (ich kannte nämliche keine) die gleichen Spielereien trieben, um sich über die Runden zu retten.
Das Telefon klingelte eine ganze Weile, ohne dass jemand ranging. Folglich musste Verne außer Haus sein. Ich nahm ab, beugte mich vor und drehte die Musik leiser (fühlte sie jetzt eher, als dass ich sie hörte) und sagte: »Ja?«
»Lew? Jane hier.« Kurze Pause. »Janie.«
Die Vergangenheit sprang mir wie eine Kröte ins Gesicht.
»Tut mir leid, wenn ich dich störe, und mir ist auch klar, dass du wahrscheinlich nicht mehr das Geringste von mir wissen willst. Aber vielleicht kannst du mir sagen, wann du zum letzten Mal was von David gehört hast.«
»Das ist mindestens drei, vier Monate her. Eine Ansichtskarte mit einem gelangweilt wirkenden Wasserspeier. Er war in Paris. Hinten stand ein halber Roman drauf, alles in seiner kleinen Handschrift – wen er kennengelernt hat, wo er gewesen ist, was er alles erlebt und gesehen hat, nachdem er es solange bloß aus Büchern kannte. Er hat sogar mit dem Gedanken gespielt, in Europa zu bleiben, bis die Semesterferien vorbei ist.«
»Und seitdem nichts mehr?«
»Kein Wort.«
»Ist das normal? Ich meine, ich weiß nicht, wie oft ihr euch geschrieben habt, nachdem ihr euch wieder zusammengerauft habt.«
»Ungewöhnlich ist es jedenfalls nicht. Mehrere Monate Funkstille, dann ein zehn Seiten langer Brief – das war bei uns oft so üblich.«
Ich bückte mich und stellte die Musik ab. Ein Grashüpfer spazierte draußen schräg über das Fenster, fand scheinbar mühelos Halt auf dem glatten Glas.
»Ich nehme an, dass irgendwas nicht stimmt, Janie, sonst hättest du mich nicht angerufen, nicht nach all den Jahren.«
»Ich weiß es nicht, Lew. Das ist das Allerschlimmste. Aber David hat mir fast jede Woche geschrieben, normalerweise sonntags, und ich habe seit über zwei Monaten nichts mehr von ihm gehört.«
»Wo könnte er derzeit sein?«
»Irgendwo zwischen Rom und New York.«
»Hast du eine Adresse?«
»Zuletzt lief alles über ein Postamt in Paris, postlagernd. Er wollte mir wieder Bescheid geben.«
»Sieben-fünf-null-null-sechs?«
»Ja.«
»Das ist die gleiche, die ich habe. Sind deine Briefe zurückgekommen?«
»Nein.«
»Dann kriegt er sie vermutlich auch, oder zumindest jemand. Oder sie werden ihm nachgeschickt, was weiß ich.«
»Jemand?«
»Janie. Da ist wahrscheinlich gar nichts dabei, das weißt du doch.«
»Ja. Aber ich habe trotzdem ein ungutes Gefühl. Und er ist da drüben, auf der andern Seite der Welt, das ist fast wie auf einem andern Stern. Ich musste dich anrufen, mit jemand reden. Hat eine ganze Weile gedauert, bis ich den Mut dazu aufgebracht habe.«
»Kannst du mit deinem Mann nicht über so was reden?«
»Mein Mann hört mir schon seit Jahren nicht mehr zu. Und neuerdings lässt er sich auch nicht mehr hier blicken. Ich hab eine Telefonnummer, über die ich ihn erreichen kann, wenn ich ihn wegen irgendwas unbedingt sprechen muss.«
»Und das lässt du dir bieten?«
»Was bleibt mir denn anderes übrig? Für dich bin ich wahrscheinlich immer noch neunzehn oder zwanzig, Lew, jung, hübsch und knackig – zumindest soweit ich das jemals gewesen bin. Aber ich
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