Stiller
noch frei bist, da wäre dieses Orgelkonzert im Fraumünster ...« Sibylle bediente die Kaffeemaschine. »Ich bin nicht frei«, sagte sie, und damit war das Orgelkonzert erledigt. Rolf war zum Umbringen, fand sie; er gewährte ihr eine Freiheit, eine Unabhängigkeit, die nachgerade kränkend wurde. »Ich verstehe dich nicht!« platzte nicht etwa Rolf, sondern Sibylle, »du weißt genau, daß ich jemand liebe, daß ich ihn fast täglich treffe, und fragst nicht einmal, wie er heißt. Das ist doch eine Farce!« Rolf lächelte: »Wie heißt er denn?« Auf eine solche Herablassung hin konnte Sibylle es natürlich nicht sagen, und man wartete wortlos auf den Kaffee. »Das habe ich dir gesagt«, plauderte Rolf, »daß sie mich zum Staatsanwalt haben wollen ...« Rolf hatte immer etwas, um auszuweichen, etwas Wichtiges, etwas Sachliches. Endlich kochte der Kaffee in der Glaskugel, der Dampf pfiff. Auch mit Rolf, fand sie, ging es so wie bisher nicht weiter. Unter anderem begann auch das Geld plötzlich eine Rolle zu spielen: nicht für Rolf, aber für Sibylle. Es verletzte sie insgeheim, wie selbstverständlich ihr lieber Stiller es hinnahm, daß alles, was Sibylle auf dem Leibe trug, von Rolf bezahlt war, Stiller verdiente fast nichts, gewiß, und er konnte nicht auf die Bank gehen, sie verstand es, und doch verletzte es sie insgeheim, ja, gegen alle Vernunft. Höchstens spöttelte Stiller einmal über die Verwöhntheit der Dame, befühlte ihren neuen Stoff, lobte ihren guten Geschmack in Farben, ohne je auch nur auf den Gedanken zu kommen, den Sibylle ihm sogleich mit aller Zärtlichkeit ausgeredet hätte, versteht sich, auf den Gedanken nämlich, daß Sibylle sich nicht länger von Rolf, ihrem Gatten, ausstatten lassen dürfte. Stiller störte es gar nicht, nein, und auch Rolf störte es nicht. Manchmal (so sagt sie) fand sie beide Männer unmöglich. Dann juckte es sie. »Übrigens sollte ich Geld haben«, sagte Sibylle, »aber ziemlich viel. Nämlich wir haben im Sinn, diesen Herbst zusammen in Paris zu verbringen –« Sie blickte ihn von der Seite an, nachdem sie es gesagt hatte; Rolf schwieg. Es geschah das einzig Unerwartete, nämlich nichts. Sie füllte sein Täßlein und stellte es ihm hin. »Danke«, sagte er. Entweder hatte Rolf, ihr Mann, etwas dagegen, daß sie mit einem andern Mann (und mit Rolfs Geld) nach Paris fährt, oder Rolf hat nichts dagegen; etwas anderes, so hatte sie gemeint, gibt es nicht. Sibylle füllte ihr eigenes Täßlein. »So«, sagte er lediglich, »ihr wollt nach Paris.« Sie ließ es nicht an Aufklärung fehlen: »Ich weiß nicht für wielange, vielleicht nur für ein paar Wochen, vielleicht auch für länger –« Rolf sprang nicht von seinem Sessel, er schmetterte kein Täßlein an die Wand, dieser Rolf mit seiner lächerlichen Gefaßtheit, geschweige denn, daß er auf die Knie fiel und Sibylle anflehte, Vernunft anzunehmen und bei ihm zu bleiben. Nichts von alledem! Einen Augenblick lang war Rolf etwas errötet; er hatte wohl angenommen, die Geschichte mit ihrem Maskenball-Pierrot hätte sich erledigt, und nun mußte er sich von neuem mit der Tatsache ihres glückseligen Ehebruchs abfinden. Warum aber, zum Donnerwetter, mußte er? Rolf rührte in seinem Kaffee. Warum warf er keinen Blumentopf nach ihr oder wenigstens ein Buch? Als sie sein Täßlein etwas zittern sah, regte sich keine Reue in ihr, nicht einmal Mitleid, eher Enttäuschung, Bitterkeit, Hohn, Traurigkeit. »Oder hast du etwas dagegen?« fragte sie und gab ihm den Zucker hinüber, entwickelte nun ihre Gründe: »Du weißt ja, wie das ist, hier gibt es doch nur ein Geschwätz, wenn man mich sieht. Mir macht es nichts aus! Aber für dich ist es doch unangenehm. Vor allem jetzt, wo sie dich als Staatsanwalt haben wollen! Sicher ist es auch für dich viel besser, wir leben in Paris ...« Sie sah ihn an. »Oder was findest du, Rolf?« Er trank, rührte, trank, blies und trank, als ginge es jetzt vor allen Dingen um die Erledigung dieses heißen Kaffees. Ganz beiläufig kam seine sachliche Frage: »Ja, und wieviel Geld brauchst du denn etwa?« Feige wie Männer ja sind, wenn sie einmal nicht selber die Attacke führen, verschanzte er sich sofort im Sachlichen, während Sibylle doch hören wollte, was er empfände, was er hoffte. Sibylle mit einem anderen Mann in Paris, war’s ihm denn gleichgültig? Fand er’s in Ordnung? Fand er’s untragbar? Sibylle fragte ihn klipp und klar: »Was denkst du denn?« Rolf stand nun am
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