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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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er hielt es einfach für sein gutes Recht, am Flughafen eine wartende Gattin zu finden, das erboste Sibylle nun dermaßen, als sie ihm, als er aus dem Zoll kam und sie küßte, zwar beide Wangen gab, nicht aber ihren Mund ... »Was gibt es Neues?« seine übliche Frage. Auf dem Gang zum Wagen merkte sie doch etwas wie weiche Knie. Beim Abendessen in der Stadt, um doch etwas Neues zu melden, redete sie von dem jungen Sturzenegger, ihrem Architekten, von seinem tollen Glück, von einem Auftrag irgendwo in Kanada oder so. Ferner hatte der junge Sturzenegger einen Film empfohlen, den man nicht verpassen sollte, heute letzter Tag. Sonst war ja Rolf nach seinen Reisen stets sehr aufgekratzt, munter, als käme er geradenwegs von der Quelle des Lebens; jetzt, von ihrer Munterkeit überflügelt, spielte er sogleich den Müden, meldete schwere Böen über dem Kanal und wollte nach Hause, tat, als käme er nicht von London, sondern von der Front, ein Held mit Anrecht auf häusliche Pflege. Ein wenig bestürzt war Sibylle wohl doch, ohne es merken zu lassen, über ihre Entdeckung, wie anders sie Rolf betrachtete, nicht ohne Liebe, aber ohne Angst, daß er etwas verschwiege, und frei von dem Wahn, ohne Rolf nicht leben zu können, nein, auch nicht ohne warme und echte Zärtlichkeit, die sich indessen mit Mitleid mischte, also nicht ohne eine gewisse Herablassung, die Sibylle so gar nicht wollte, und doch war sie plötzlich da, Sibylle hörte sie eher als er, eine Veränderung in ihrem Unterton. Zum Zweck der Demonstration, daß seine Müdigkeit nicht ihre Müdigkeit war, erwog sie, allein in den empfohlenen Film zu gehen. Rolf hatte nichts dagegen. Sie ließ es bleiben; keineswegs aus schlechtem Gewissen, das sie auch Aug in Auge nicht hatte, sondern eher aus Mütterlichkeit. Im Wagen dann, den Sibylle steuerte, war es nicht Rolf, der seine Hand auf ihren Arm legte, sondern umgekehrt, obschon Sibylle, wie gesagt, am Steuer saß. Er sagte: »Du siehst großartig aus!« Sie sagte: »Es geht mir auch sehr gut.« Und sie meinte mit Erleichterung, nun wüßte er alles. Sie schaute ihn wohl manchmal an, ungläubig, daß ein Mann so wenig spüren würde. Es war fast etwas komisch. Schwierig (für Sibylle) dürfte der Augenblick gewesen sein, als Rolf, der Vater ihres Kindes, sein Gepäck in die Diele stellte, seinen Mantel aufhängte, um hier zu übernachten. Eine Ungeheuerlichkeit! Sibylle glaubte nun einfach in Tränen auszubrechen, aber auch das merkte er nicht, sondern erzählte von der rasanten Verarmung des britischen Empire. Der kleine Hanneswar ins Bett gebracht, das Gebetlein gesprochen; Sibylle hatte keinen überzeugenden Grund mehr, um vor der rasanten Verarmung des britischen Empire wegzulaufen. Nichts gab es zu widerrufen, gar nichts, auch wenn sie es gekonnt hätte, gar nichts; aber wie konnte dieser Abend bestanden werden, wie, wenn bei seiner Ahnungslosigkeit, die Sibylle nicht fassen konnte, das Verschweigen so leicht war und dennoch unmöglich? Rolf stand in der Küche vor dem Eisschrank, um ein Bier zu trinken, und fragte die ferne Sibylle, ob sie inzwischen einmal auf der Baustelle gewesen wäre. Sibylle hatte sich entschlossen, das Haus zu verlassen, lautlos die Türe aufzumachen, während Rolf in der Küche sein Bier trank und von der Baustelle redete, und hinauszugehen irgendwohin, nicht zu Stiller, aber irgendwohin; Rolf mußte die Klinke gehört haben, kam und fand sie im Mantel, den Hausschlüssel in der Hand, erbleicht oder errötet, aber seltsam geistesgegenwärtig. »Der Hund!« sagte sie, der Hund müßte noch ins Freie gelassen werden. Und Rolf stellte sein Bierglas hin, um den Hund ins Freie zu führen, hilfsbereiter als üblich. Ahnte er wirklich nichts? Verstellte er sich? Machte es ihm wirklich nichts aus? Oder war er blöd, ganz unsäglich blöd oder größenwahnsinnig in der Meinung, kein andrer Mann könnte gegen ihn antreten, oder was sollte das alles heißen? Sibylle saß in ihrem Mantel. Und dabei, Rolf hatte irgendwie sogar recht, spielte es gar keine Rolle, schien ihr; es nahm ihm nichts weg. Aber wissen mußte er es! Jede weitere Stunde, jede Viertelstunde, die verschwiegen wurde, vergiftete alles Gewesene zwischen Rolf und ihr. Sie weinte. Bereute sie es vielleicht doch? Und sie schämte sich vor Stiller, der jetzt so ferne war, fürchtete, daß sie in dem immer näher kommenden Augenblick, da Rolf den Hund zurückbrachte und da sie es ihm sagen würde, die vergangene Nacht verkleinern

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