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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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könnte bis zum Verrat, Verrat an Stiller und an sich selbst. Sie sah es schon: Rolf würde den Arm um sie legen, eine Art von Verständnis und Nachsicht haben, die alles begräbt, und ihr kleines, etwas dummes Intermezzo gar nicht ernst nehmen, und sie, die Verräterin, würde ihn hassen um ihres eigenen Verrates willen. War es dann nicht wieder ehrlicher, alles zu verheimlichen? Und alles, was eine Wohnung ausmacht, plötzlich schien es ihr nur darauf angelegt, die Aufrichtigkeit zu verunmöglichen. Warum war Stiller nicht da! Ihr Mann erschien ihr so stark, so überstark, nicht weil er das ›Recht‹ auf seiner Seite hätte, aber einfach durch die Gegenwärtigkeit seiner Person; Stiller war wie verdeckt von hundert Sachen, von diesem Flügel, von Möbeln und Teppichen und Büchern und Eisschrankund lauter Zeug, nichts als Zeug, das gleichsam für Rolf eintrat, stumm, stur, unwiderlegbar. Eine Bastion ist so eine Wohnung, schien ihr, eine geschmackvolle Gemeinheit. Im Begriff, Stiller anzurufen, bloß damit sie seine schon vergessene Stimme hörte, hörte sie das Bellen des Hundes und hängte ab, zog nun auch endlich ihren Mantel aus, zum Umsinken müde und zur weibischen Kapitulation bereit, nämlich es einfach darauf ankommen zu lassen, welcher der beiden Männer nun eben über den andern und damit auch über Sibylle siegte. Rolf fand sie in hausfraulicher Geschäftigkeit. Wohl mit einigem Recht fand er es überflüssig, daß Sibylle jetzt noch die monatliche Abrechnung des Milchmanns und des Metzgers überprüfte, fand es eine Unartigkeit gegenüber einem Mann, der von London kommt, und zeigte sich verstimmt, ja, es hatte schon den Anschein, als würde der Abend in ehelicher Verstimmung alltäglicher Art vorübergehen, also glimpflich. Es dürfte eher an Rolf gelegen haben, daß es nicht dabei blieb. Er schmetterte sein Bierglas in den Schüttstein. »Was ist denn?« fragte sie. Aus ihrer Unartigkeit schloß er, daß Sibylle, seine liebe Frau hinter dem Mond, ihn wieder einmal verdächtigte; auch Rolf hatte es satt. Rolf fand es so kleinlich, so spießig; noch einmal (jedoch mit einem deutlichen Unterton, daß es das letzte Mal sein würde) hielt Rolf seinen ›Vortrag‹ und ließ sich nicht unterbrechen, nein, Sibylle mußte nun wirklich einmal zu einer großzügigeren Auffassung der Ehe kommen, mußte Vertrauen haben, mußte begreifen, daß Rolf sie liebte, selbst wenn er zuweilen eine andere Frau auf Reisen traf; übrigens war es dieses Mal gar nicht der Fall gewesen, aber es ging ihm wie allen Männern insbesondere ums Grundsätzliche, und da, wie gesagt, hoffte er, Sibylle denn doch zu einem reiferen Begriff von Ehe führen zu können, zur Einsicht, daß ein gewisses Maß von Freiheit auch in einer Ehe vonnöten ist. Er verbat sich Anwandlungen von Eifersucht. Aber auch das ging vorüber. Sibylle wollte ihm versichern, daß sie ihn begriff wie noch nie, kein bißchen Eifersucht empfände; aber es wäre die Wahrheit und zugleich der bare Hohn gewesen, und es ließ sich nichts sagen, überhaupt nichts. Sibylle wollte nur so bald wie möglich allein sein. Es war gräßlich, es begann Komödie zu werden. Sibylle, als sie ihm einen herzlichen Kuß auf die Stirne gab, fühlte sich in einer Weise überlegen, die sie beschämte. Unwillkürlich verriegelte Sibylle ihre Türe. Ihr Glück war kein Traum. Sobald Sibylle sich allein fand, erfüllte es sie wieder mit aller Wirklichkeit. Bloß aus Takt sang sie nicht. Aber auch so, scheint es, hörte man es durch alle Wände, ihr stummesGlück, und der Gatte, wiewohl er alles Nötige wieder einmal ausgesprochen hatte, fand keine Ruhe. Die verriegelte Tür bestürzte ihn; er bestand darauf, nochmals in ihr Zimmer kommen zu dürfen, und dann erst, als Rolf wie ein tröstender Samariter auf ihrem Bett saß, offenbar ein verweintes Gesicht erwartet hatte und verdutzt war, ein glückliches zu finden, begann er etwas zu ahnen. Er fragte: »Was ist geschehen?« Sibylle wußte nicht die Worte, so etwas zu sagen; sie sagte: »Du weißt es schon.« Rolf fand auch nicht gerade die besten Worte; er sagte: »Du warst bei einem Mann gewesen?« Sibylle sagte ja und war froh, ihr Schweigen los zu sein, erleichtert, jetzt erst die vollen Grade glücklich. Rolf starrte sie an. Sie bat ihn, jetzt keine weiteren Fragen zu stellen, sie allein zu lassen. Rolf nahm es (so sagt Sibylle) mit einer bemerkenswerten Gefaßtheit. Er verreiste sogar für einige Tage, um Sibylle in Ruhe zu lassen,

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