Stiller
nur noch Nicken.
Wenn ich beten könnte, so würde ich darum beten müssen, daß ich aller Hoffnung, mir zu entgehen, beraubt werde. Gelegentliche Versuche, zu beten, scheitern aber gerade daran, daß ich hoffe, durch Beten irgendwie verwandeltzu werden, meiner Ohnmacht zu entgehen, und sowie ich erfahre, daß dies nicht der Fall ist, verliere ich die Hoffnung, auf dem Weg zu sein. Das heißt, unter Weg verstehe ich letztlich noch immer nur die Hoffnung, mir zu entgehen. Diese Hoffnung ist mein Gefängnis. Ich weiß es, doch mein Wissen sprengt es nicht, es zeigt mir bloß mein Gefängnis, meine Ohnmacht, meine Nichtigkeit. Ich bin nicht hoffnungslos genug, oder wie die Gläubigen sagen würden, nicht ergeben genug. Ich hörte sie sagen: Ergib dich und du bist frei, dein Gefängnis ist gesprengt, sobald du bereit bist, daraus hervorzugehen als ein nichtiger und ohnmächtiger Mensch.
Sie wollen mich irrsinnig machen, bloß um mich einbürgern zu können und Ordnung zu haben, und scheuen vor nichts mehr zurück. Ich habe jetzt, seit gestern, keinen Menschen mehr, der mich nicht schamlos verraten hätte, ausgenommen mein Staatsanwalt. Es war ein bitterer Tag. Ich protokolliere:
1. Der Vormittag.
Gegen zehn Uhr werde ich zum Staatsanwalt gerufen. Nach elf Uhr sitze ich noch immer im Vorzimmer, zusammen mit Knobel, der ebenfalls keine Ahnung hat, was los ist. Knobel macht sich Sorgen, es könnte eine Rüge absetzen, beispielsweise wegen der Cervelat-Schiebungen, und es enttäuscht mich sehr, wie der brave Knobel sich beim bloßen Gedanken an eine mögliche Rüge verhält; er hat Angst um seine Stelle. Natürlich sagt er es nicht, glaubt aber auf den herzlichen Ton zwischen uns verzichten zu müssen, sowie wir in diesem Vorzimmer sitzen. Knobel liest eine Zeitung, um sich unabhängig vorzukommen, mit einem männerhaft-mürrischen Gesicht, als läge in der Ungeschliffenheit irgendeine Gewähr, daß einer vor seinem Vorgesetzten nicht kriecht. In Deutschland schlagen sie die Hacken zusammen, im Orient reiben sie sich die Hände, in der Schweiz zünden sie sich einen Stumpen an und verkrampfen sich in einer möglichst unhöflichen Pose der Gleichberechtigung, als könnte einem korrekten Mann hierzulande nichts widerfahren. Als ein adrettes Fräulein kommt und sagt: Herr Staatsanwalt läßt bitten! zeigt Knobel nicht die mindeste Eile; der Herr Staatsanwalt ist auch nur ein Mensch, wir sind alle Steuerzahler! Trotzdem vergißt er dabei seinen Zwicker. Merkwürdigerweise (mit Absicht?) lassen sie die Türe offen; ich höre, ohne jemand sehen zu können, etwa das folgende Gespräch:
»Dafür zahle ich kein Honorar!«
»Im übrigen«, sagt der Staatsanwalt, »nehmen Sie es wirklich nicht übel, daß in den vorliegenden Akten stets von Haaröl-Gangster die Rede ist. Der Ausdruck, wie Sie selber gesehen haben, steht in Anführungszeichen. Es handelt sich um einen Ausdruck unseres Häftlings –«
»Das nehme ich an!«
»Alles weitere –«
»Haaröl-Gangster!« sagt die empörte Stimme. »Ich werde auf Ehrverletzung klagen, koste es, was es wolle, das können Sie dem Häftling heute schon sagen.«
Kleine Pause.
»Nur noch eine Frage, Herr Direktor –«
»Bitte, Herr Staatsanwalt, bitte sehr.«
»Haben Sie irgendeine Beziehung zu Jamaika?«
»Wieso?«
»Ich forsche keineswegs nach Ihren geschäftlichen Beziehungen«, sagt der Staatsanwalt, »mißverstehen Sie mich nicht, Herr Direktor. Ich möchte lediglich wissen: Haben Sie, als dieser Herr Stiller an Ihrem erwähnten Gipskopf arbeitete, je von Jamaika geredet?«
»Kann sein –«
»Aha.«
»Ich habe ein Haus auf Jamaika –«
»Aha.«
»Warum?«
Ich höre, wie Sessel gerückt werden.
»Nochmals besten Dank, Herr Direktor«, sagt der Staatsanwalt. »Wir sind sehr erleichtert, zu sehen, daß Sie nicht ermordet sind.«
»Ermordet??«
»Nämlich unser Häftling behauptet steif und fest, er habe Sie schon vor etlichen Jahren eigenhändig ermordet!«
»Mich?«
»Auf Jamaika – ja.«
Jetzt kommt Knobel an die Reihe, wird als Wärter vorgestellt und soll erzählen, was ihm erzählt worden ist. Offenbar hat er Hemmungen. Seine Erzählung, wie sich der Mord ereignet habe, ist schlecht, wirr und ohne Anschauungskraft.
»Im Dschungel!« lacht der Direktor. »Haben Sie das gehört, Herr Staatsanwalt?Im Dschungel! Ich habe auf Jamaika noch nie einen Dschungel gesehen, das sind ja Hirngespinste, Herr Staatsanwalt, Sie werden es mir glauben
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