Stiller
–«
»Ich glaube es.«
»Hirngespinste!«
Knobel ist unsicher geworden, scheint es, und wagt nicht zu schildern, wie das Blut des Direktors, der vor ihm steht, sich mit dem braunen Sumpfwasser mischt und wie die schwarzen Zopilote auf das wohlgekleidete Aas warten, lauter Dinge, die jetzt, da sie ihn nach Genauerem fragen, gesagt werden müßten; statt dessen fragt Knobel zurück:
»Sind Sie denn Direktor Schmitz?«
»Antworten Sie auf meine Frage«, sagt der Direktor. »Womit will der Häftling mich ermordet haben?«
»Mit einem indianischen Dolch.«
»Ach.«
»Ja«, sagt Knobel, »vorne in den Hals hinein und dann links herum.«
»So.«
»Oder rechts herum«, sagt Knobel und wird schon wieder unsicher, »das weiß ich nicht mehr.«
»Danke.«
Dann wird Knobel verabschiedet.
»Es tut mir leid«, sagt Knobel, und wie er durch das Vorzimmer geht, seine Mütze in der Hand, hat er krebsrote Ohren; er würdigt mich keines Blickes ... Wie der Direktor sich zu seiner Ermordung stellt, höre ich nicht, da Knobel ordentlicherweise die Türe geschlossen hat. Ihre Unterhaltung drinnen dauert nochmals zehn Minuten. Ich versuche, die Zeitung zu lesen, die mein Wärter hat liegengelassen, vermutlich ein Blatt der Sozialdemokratie, als der Herr plötzlich in der Türe steht. Er sagt:
»Es ist mir eine Freude gewesen, Herr Staatsanwalt, Sie persönlich über den wahren Sachverhalt aufzuklären. Es geht hier nicht um das Geld, wie gesagt, ich habe mich seinerzeit bereit erklärt, die Hälfte des vereinbarten Honorars zu zahlen, die volle Hälfte, sage und schreibe, aber ich lasse mich nicht erpressen, und wenn Herr Stiller damit nicht zufrieden war, bitte sehr, dann konnte er ja vor Gericht gehen, aber das wagte er nicht, sehen Sie. Er habe kein Geld für Prozesse! Das sagen sie dann immer, diese Psychopathen, und als ich ihn auf das ordentliche Gerichtsverfahren verwies, nannte er mich rundheraus einen Gangster. Ich bitte Sie, Herr Staatsanwalt, das können auch Sie sich nicht gefallen lassen.«
Der Herr, der dann im Vorzimmer seinen Mantel anzieht, ist eine durchaus gediegene Erscheinung, jedenfalls unauffällig wie irgendein Passant an der Bahnhofstraße. Um den Hals trägt er einen schlichten Schal aus Uni-Seide. Seinen kahlen Kopf bedeckt er mit einem ebenfalls schlichten Hut aus Uni-Filz, den er, als er mich erblickt, nicht abnimmt, statt dessen greift er an seinen Hals, etwa als ordne er den Schal. Ich nicke. Warum eigentlich? Er geht mit den Worten:
»Wir werden uns ja vor Gericht sehen.«
Dann muß ich zum Staatsanwalt.
»Es gibt eine Sorte von Millionären«, sage ich, »denen in einem Rechtsstaat nicht beizukommen ist, kein Wunder also, daß sie immer wieder auferstehen –«
Das adrette Fräulein wird alsbald mit einem Auftrag entfernt, mit einem Brief, den sie ins Hotel Urban zu bringen hat. Ich denke sogleich: Ob Julika aus Paris zurück ist? Indessen bittet mich der Staatsanwalt, den ich ja bisher nur immer als Gast auf meiner Pritsche gesehen habe, Platz zu nehmen.
»Ja«, lächelt er, »mein Lieber –«
Ein Telefon unterbricht. Er dreht sich mit dem dienstlichen Hörer etwas zur Seite, wie es sich für außerdienstliche Gespräche ziemt, hört zu, Hand am Schlüsselbund und Blick zum Fenster hinaus, sagt seinerseits bloß, daß er nicht zum Mittagessen komme, am Nachmittag einen Lokaltermin habe, und bricht, offensichtlich von einer Frage bedrängt, die er in meiner Gegenwart nicht möchte beantworten müssen, etwas plötzlich ab, um sich, nicht ganz unbefangen, wieder an mich zu richten.
»Sibylle läßt Sie grüßen.«
»Danke«, sage ich, »wie geht es?«
»Danke«, sagt er, »sie ist glücklich, wieder zu Hause zu sein.« Dann, nachdem das letzte Lächeln aus seinem Gesicht geschwunden ist und ein Schweigen offenherziger Verlegenheit lange genug gedauert hat, ein Schweigen, als wäre es nun entschieden, daß ich der verschollene Stiller sei und somit der ehemalige Geliebte seiner Frau, die glücklich ist, wieder zu Hause zu sein, und nachdem er seinen Schlüsselbund eingesteckt hat, erfolgt sein nicht sehr origineller Ausspruch:
»Das Leben ist schon komisch.«
Mir fällt auch nichts ein.
»Wenn es Ihnen recht ist, Stiller, lassen Sie uns zusammen zu Mittag essen.Wir haben Zeit bis zwei Uhr – ich schlage Ihnen vor«, sagt er im Aufstehen: »wir fahren ein wenig aufs Land!«
– – –
2. Das Mittagessen.
Ziemlich schweigsame Fahrt durch Felder und Wälder. Alles sehr
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